Die Wahrheit: Eine Hölle namens Bio
Für manche Menschen ist das Etikett „Bio“ zu einer regelrechten Religion geworden. Inklusive Heilsversprechen, dass, wer „Bio“ einkauft, auf einem (...)
F ür manche Menschen ist das Etikett „Bio“ zu einer regelrechten Religion geworden. Inklusive Heilsversprechen, dass, wer „Bio“ einkauft, auf einem geretteten Planeten im Kreise properer Enkelkinder mit gutem Gewissen uralt werden kann. Im Prinzip, so manche Leute, ist eigentlich alles giftig, auf dem nicht ein Bio-Etikett pappt. Den Fundamentalisten zum Trotz gehe ich manchmal doch ganz gerne in den Bioladen in unserer Straße. Das sind sehr nette Leute dort, die mir mit dem Kinderwagen immer die Tür aufhalten und sich untereinander zwanglos unterhalten.
Neulich, ich hatte mich gerade über die Kühltheke mit dem Biofleisch gebeugt, ging’s um die Würmer, die sich „der Fido“ eingefangen hatte und wie „wir die wieder losgeworden sind, ich kann dir sagen“. Um die Wurmfreunde unter den Lesern nicht im Regen stehen zu lassen: Es waren „solche Dinger“ mit Betonung auf „solche“.
In diesem Bioladen jedenfalls gibt es exotische Versionen eigentlich ganz gewöhnlicher Lebensmittel. Karibische Bananen, die abends noch grün sind und morgens schon braun. Wahrscheinlich müsste ich mir mitten in der Nacht den Wecker stellen, um eine Banane in ihrer kurzen gelben Phase zu erwischen. Bemerkenswert auch die Kiwi, die, anders als ihre oft steinharten Kolleginnen aus dem Supermarkt nebenan, wahrscheinlich per berittenem Boten aus Neuseeland importiert wurden und innen komplett flüssig sind. Ich steche einfach einen Trinkhalm durch ihre haarige Vogelspinnenhaut und trinke sie aus.
Der wahre Grund, warum ich dem Bioladen treu bleibe, liegt gut gekühlt und beleuchtet hinter Glas. Es ist die Käsetheke. Ich bin weder Gourmet noch Gourmand und vielleicht der vorletzte Mensch auf Erden, der Kochen nicht für eine Kunst hält. Aber einen guten Käse weiß ich zu schätzen. Vor allem einen guten Camembert, den Champagner unter den Käsen. Leider gibt es den in Deutschland nicht zu kaufen. Was einem unter diesem Namen angedreht wird, schmeckt wie sahnige Milch und hat mit einem echten Camembert ungefähr so viel zu tun wie wie Teletubbies mit Southpark. Fündig wurde ich nur im Bioladen.
Nachdem ich also verschiedene Sorten ausprobiert hatte, fragte ich nach dem schärfsten Camembert im Sortiment: „Der da hinten in der Ecke sieht sehr interessant aus.“ Da war ein kurzes Flackern im Blick der Verkäuferin, dann ein professionelles Lächeln: „Wie wär’s mit diesem hier, der ist auch sehr würzig!“ Ich aber beharrte, und seufzend angelte sie das schwarze Schaf heraus, einen L’amour blanc d’ Antoine, und sagte: „Mein Mann meint, den könnten wir eigentlich niemandem anbieten“, aber ich versicherte: „Ich mag das so, nach Ammoniak müssen sie riechen. Packen Sie’s gleich ein!“
Zu Hause packte ihn ihn aus, freute mich am rostfarbenen Schimmel auf der Rinde, dem man fast beim Wachsen zuschauen konnte, und runzelte, das weiß ich noch, kurz die Stirn über seine leichengraue Bröseligkeit im Inneren. Dann biss ich zu. Wenn „Bio“ eine Religion ist, dann habe ich in diesem Moment ihre Hölle kennengelernt.
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