Die Wahrheit: Romantische Tauschgeschäfte
Neulich lernte ich im Bildungsfunk, dass weibliche Wildgänse erst ein paar männliche Partner innerhalb ihres Schwarms ausprobieren und mit ihnen eine Weile umherflattern.
N eulich lernte ich im Bildungsfunk, dass weibliche Wildgänse erst ein paar männliche Partner innerhalb ihres Schwarms ausprobieren, mit ihnen eine Weile umherflattern, einander die Bürzel zupfen oder die Schwingenmauser zusammen begackern, bevor sie sich für den stressfreiesten Partner entscheiden. Ein ganz ähnliches Verhalten legt von Alters her der gemeine Landbewohner an den Tag.
Schon als kleiner Junge kam es mir nicht richtig, geradezu amoralisch vor, wenn ich bei meinen Schlüssellochvisiten bemerken musste, dass meines Bruders Kfz-Mechaniker-Griffel unter dem weiten Batik-Shirt von Roswitha herumschraubten, obwohl die noch in der Woche zuvor seinem besten Freund Tony mit einigem Engagement ihre Natternzunge in den Hals gesteckt hatte.
Und was tat Christine, die grazile, papierweiße Dorfqueen, deren nackte Schultern dem kleinen Spanner hinter der Tür geradezu Tränen der Rührung in die Augen trieben? Die ließ sich ihr polarblondes Haar mittlerweile vom fulminanten Ernst, einem Braungurt-Karateka, der die Gang schon zweimal in der Unterzahl rausgehauen hatte, um die Mörderfinger wickeln.
Das war alles ziemlich verwirrend für einen Viertklässler. Als ich meine Mutter daraufhin befragte, ob das nicht komisch sei, wenn jede mal mit jedem dürfe und das auch noch alle wüssten, und ob es da keinen Streit gebe, weil die Jungs oder Mädchen untereinander ja vielleicht auch mal Sachen erzählten, die keinem was angingen.
Meine Mutter sah mich überrascht an, vielleicht auch ein bisschen besorgt darüber, was für einen lebensuntüchtigen Romantiker sie da großzog, und winkte schließlich ab. Das habe es immer gegeben. „Umetüschen“ (hochdt. „umtauschen“) hätte schon ihre Mutter das genannt. Man komme eben nicht so leicht weg hier.
„Aber das Nachbardorf?“, wagte ich einen Einwand. „Nicht so einfach“, schüttelte sie bedenklich den Kopf, „frag mal Opa!“ Und ich erinnerte mich an seine blutigen Geschichten von Schützenfesten, in denen Nachbardörflern schon wegen weit geringerer Verfehlungen, als es ein „Frauenraub“ war, das Fell über die Ohren gezogen wurde.
Man blieb also lieber im Dorf, tauschte um, was sich noch umtauschen ließ, und wer es sodann vermochte, mehrte sich redlich. Damit sind wir aber noch einem anderen Rätsel hart auf der Spur, den vielen schmückenden Beinamen im ruralen Raum. Sie sind entstanden aus purer Unterscheidungsnot. Weil es, nur mal als Beispiel, fünf Familien mit dem Namen Hinze gibt, die alle irgendwie inzüchtig miteinander in Verbindung stehen, braucht es zusätzliche Attribute.
„Hinze neun“ ist der mit der Hausnummer neun, „Schnellen-Hinze“ einer, der nicht lange fackelt, und „Sarg-Hinze“ der lokale Tischler. Auf diese Weise entsteht der wunderbarste Doppelnamenirrsinn à la „Hammer-Schmidt“, „Zwetschgen-Pahl“, „Knickknack-Fricke“ und „Suff-Schäfer“, und nicht immer ist ganz klar, was diese zwischen übler Lästermäuligkeit und herzlichem Spott changierenden Necknamen eigentlich bedeuten sollen.
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