Die Wahrheit: Wie wir Narben erwarben

Meine erste Narbe holte ich mir mit vier, als ich mit der Stirn auf eine blecherne Hansaplastrolle fiel, die sich bei der Wundverarztung gleich wieder nützlich machen konnte.

Meine erste Narbe holte ich mir mit vier, als ich mit der Stirn auf eine blecherne Hansaplastrolle fiel, die sich bei der Wundverarztung gleich wieder nützlich machen konnte.

Stolz aber war ich auf die schrundigen Knienarben von unserem Ascheplatz in Solingen-Gräfrath, der noch mit richtiger kröseliger Industrieasche voller Schwermetallen und ähnlichen Höllen-Ingredienzien beschottert war. Bei jeder Grätsche fraß sich der beißende Belag tief ins blutige Gewebe, denn damals wurde noch gegrätscht beim Fußball. Heute sind sich die Herren Spieler zu fein dazu und wollen nur auf samtweichem Wembley-Rasen herumtänzeln. So ist die Bayern-Mäkelei an fremden Plätzen ja schon obligatorisch.

Jogi „Wollpullover“ Löw möchte Grätschen genauso wenig sehen wie lange, hohe Bälle in die Spitze. So etwas war damals auf unseren Ascheplätzen sowieso nicht möglich, da unsere Lederbälle schwer wie Eisenkugeln waren, besonders wenn sie nass waren. Und weil es früher immer regnete, waren die Bälle immer schwer und bildeten beim Einschlag kleine Aschekrater, so dass das Spielfeld aussah wie eine Mondlandschaft voller schmutziger Astronauten. Dann solch eine Betonkugel mit aller Wucht aus ihrem Schlackekrater herauszutreten, war nicht das gefällige Tikitaka unserer zarten Champions-League-Ballerinen, sondern noch Bolzen, reines Bolzen!

Dabei war es gut, dass es so viel regnete, denn wenn es nicht regnete, war der Boden betonhart und verursachte die typischen Betonabriebnarben, die besonders lange hielten, da sich der trockene Aschestaub tiefer in die offene Wunde einrieb als eines dieser heutigen Angeber-Tatoos. Die Staubwolken, die über dem trockenen Platz trieben, verursachten Reizhusten und ließen das Lungengewebe vernarben, so dass heute jeder „Tatort“-Pathologe bei einer Obduktion genau sagen kann, auf welchem Ascheplatz der Betreffende einmal Fußball gespielt hat.

Inzwischen spielt man ja nur noch auf Rasen oder Plastik, das für seine speziellen Verbrennungen bekannt ist. Diese Narben sehen furchtbar aus, und das einzige Gegenmittel ist ein großflächig darübergelegtes Tatoo. Jetzt ist auch klar, warum Fußballer heute alle tätowiert sind.

So was gab es damals natürlich nicht, wir hatten dafür ja unsere Aschestreifen, eine Vorform des modernen Branding. Die allerbesten Narben entstanden übrigens, wenn man die Blutkruste einer Schlacke-Inkrustierung vor dem nächsten Spiel schön aufkratzte, so dass die Wunde mit frischer Asche nachgeätzt wurde.

Die Ascheplätze wurden dann leider abgeschafft, weil der Unterhalt eines Plastikplatzes wesentlich billiger ist. Den prolligen Platzwart, der den Ascheplatz regelmäßig ohne großen Erfolg platt walzen musste, sparte man dabei auch gleich mit ein.

Heutzutage können sich die feinen Herren Fußballer nur noch an den Kanten ihrer Scheckkarten Narben holen, aber nicht mehr auf ihrem Rundum-wohlfühl-Platz. Woher der Begriff Grasnarbe kommt, ist mir übrigens schleierhaft.

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kari

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