Die Wahrheit: Aufstieg ins Abseits
Neues vom Mayakalender: Am 21. 12. 2012 fällt der Weltuntergang aus.
Wer schon einmal wochenlang einem Hamster im Laufrad bei seiner unermüdlich stupiden Tätigkeit zugesehen oder Zeitungen zu kleinen Quadraten gefaltet hat, wird darüber vermutlich den Abreißkalender mit Tagesanzeige völlig aus den Augen verloren haben. Tag für Tag nähert sich dieser der unvermeidlichen Weisheit auf der Rückseite des 17. Dezember: „Erst wenn der 18. Dezember abgerissen ist, der 19. Dezember zerknüllt in einer Ecke liegt und der 20. Dezember im Papiermüll entsorgt wurde, werdet ihr merken, dass der Tagesabreißkalender den 21. Dezember anzeigt.“
Nun endet freilich nicht jeder Tagesabreißkalender am 21. Dezember. Der Tagesabreißkalender der Maya aber schon (Die Wahrheit berichtete am 2. 6. 2012). Und was das heißt, muss nicht mehr erklärt werden: Apokalypse, Hölleninferno, Dante, Finito, Ciao Ciao, Bummsti! Doch weil der aktuelle Weltuntergangstermin schon so früh bekannt gegeben wurde, hatten viele Expertengruppen und deren Abspaltungen reichlich Zeit und Gelegenheit, sich Alternativszenarien zum großen Knall kurz vor Weihnachten auszumalen. Besonders populär ist dabei eine Theorie, die besagt, dass die Menschheit im Jahre 2012 gar nicht in den Abgrund stürzt, sondern in die genau entgegengesetzte Richtung gezogen wird. Nach dieser These wird sie heuer den Sprung in eine höhere Bewusstseinsebene vollziehen.
Esoterisch gesinnte selbsternannte „Lichtarbeiter“ sind davon überzeugt, dass diese Sphäre komplett aus Sonnenstrahlen und verdampftem Alkohol besteht oder zumindest danach riecht. Seit vielen Jahren sind sie damit beschäftigt, sich durch beständige Lichtarbeit für diesen „Aufstieg“ zu rüsten, was vor allem das unermüdliche Vollschreiben von Webseiten mit lila Texten in Schriftgröße 16 bedeutet, effektvoll verstärkt durch Bildanimationen leuchtender Engel vor strahlenden Regenbögen, die aus blinkenden Wasserfällen emporsteigen. Noch in diesem Jahr wollen diese Designer des Web 0.2 die „fünfte Dimension“ erreichen.
Unterstützt werden sie dabei durch ein kosmisches Ereignis, das am 21. 12. 2012 stattfinden soll. Im Verlaufe der sogenannten „galaktischen Synchronisation“ werden alle Himmelskörper, Lebewesen und Facebookseiten des Universums auf den gleichen Stand gebracht. Alles, was Humanoide an diesem Tag tun müssen, ist in ihrem Profil den Button „Synchronisieren“ zu betätigen. Nach einer kurzen, aber obligatorischen Schufa-Überprüfung wird jeder Einzelne samt Content und Passwörtern auf den allerneuesten intergalaktischen Stand upgedatet.
Mitglieder der Piratenpartei schwärmen schon jetzt, dass es dann möglich sein wird, das gesamte Weltall mit Statusmeldungen à la „Bin gerade in Braunschweig in der Fuzo, es regnet, aber in Karstadt is ja trocken“ vollzuspammen. Vermutlich ist es genau das, kombiniert mit Hässlichkeiten wie Terrorismus, Atomkrieg und Mario Barth, was intelligente Lebensformen im Weltall den Kontakt mit Erdenbewohnern bislang tunlichst vermeiden ließ.
Doch die Verfechter der Theorie von Aufstieg und Synchronisation sind der Überzeugung, dass die Kontaktaufnahme längst stattgefunden hat. Und zwar durch Kornkreise. Das sind diese hübschen Mandalas, die von Ufo-Piloten Nacht für Nacht in irgendwelche Getreidefelder gestanzt werden. Der Nutzen dieser Kornkreise für den Aufstieg 2012 ist umstritten. Einerseits könnten sie und die angeblich erhöhte kosmische Strahlung in ihrem Inneren eine Schlüsselrolle spielen, andererseits stellen sie aber die flachsten Punkte dar, was am Stichtag gegenüber anderen Aufstiegsteilnehmern zum entscheidenden Nachteil werden könnte. Viele Erleuchtungsfans schwören deshalb darauf, den 21. 12. 2012 von Kopf bis Fuß mit Heilerde eingeschmiert in der Nähe eines Fahrstuhls zu verbringen, falls im allgemeinen Durcheinander das Treppenhaus blockiert sein sollte oder die spirituelle Kraft für den Aufstieg nicht ausreicht.
Auch andere Faktoren können einem gelungenen Quantensprung im Weg stehen. Zum Beispiel ist nicht jeder für den Aufstieg auserwählt. Normalsterbliche, die ihr Karma noch nicht oft genug gewechselt haben, uneinsichtig, schwul oder sonst wie ungläubige Kommunisten sind, werden statt in die ersehnte fünfte Dimension aufzusteigen in die zweite zurückgestuft. Dort treffen sie dann auf Spieler und Fans des Kölner FC und der Berliner Hertha, für die es im Frühjahr schon hieß: „Abstieg 2012“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen