Die Wahrheit: Sieg der Leberwürste
Die Zukunft der Deutschen Olympischen Spiele.
![](https://taz.de/picture/199316/14/Pub_Olympiajubel.jpg)
Die Olympischen Spiele sind vorbei, und Deutschland hat immer noch viel zu wenige Goldmedaillen. Die direkte Nachbarschaft im Medaillenspiegel zu Turnbeutelvergesser-Staaten, die man sonst abgrundtief verachtet, gilt hierzulande als nationale Katastrophe, und das weiß man auch im Rest der Welt.
Wer es noch nicht weiß, erfährt es nun mit schmerzendem Trommelfell: Denn das laute Geheul der Deutschen ist gefürchtet – eine Mischung aus Fliegeralarm, ins Fangeisen geratener Wolf und tausend Jahre alter beleidigter Leberwurst bei einem gleichzeitigen Tränenausstoß, der Nord- und Ostsee sowie sämtliche Grenzflüsse derart anschwellen lässt, dass die Anrainerstaaten existenziell bedroht sind. Spätestens aber, wenn Bundesinnenminister Friedrich mit einem verräterischen Zucken um Augen, Mund und Pistolenholster vor die Presse tritt und die weit verfehlten olympischen Zielvorgaben für die deutschen Sportler offenlegt, ist nicht nur in Europa jedem klar, was nach dem Geheul erfahrungsgemäß blüht: ein unerbittlicher Eroberungskrieg, um es allen anderen mal so richtig zu zeigen.
Das klingt im ersten Moment schlimm, doch zum Glück gibt es bessere und billigere Lösungen als Generalmobilmachung, Verstärkung der Luftschutzbunker und provisorische Umwidmung städtischer Parkanlagen in Friedhöfe: Die olympischen Spiele werden einfach verlängert. Angelehnt an die Erfahrungen aus einer auffälligen Häufung deutscher Trostmedaillen im Rudern und Dressurreiten während der olympischen Endphase in London, besinnt man sich auf die Frage: Was können die Deutschen denn am besten?
Marschieren, Meckern, Getrenntzahlen und Dressurreiten. Ach, das hatten wir schon? Dann machen wir das eben einfach nochmal, und damit auch ja nichts schiefgehen kann, bestimmen die Deutschen die Regeln und Figuren. Der siebzehnjährige Wallach Hurenson, geritten von Altmeister Britter Bärbaum, beherrscht als einziges Pferd im Parcours sogar den kurzzeitigen Gang auf zwei Beinen, den sogenannten „Drunken Sailor“. Wenn er dabei auch noch den rechten Vorderhuf hebt, um die auf der Tribüne staunende Royal Family zu grüßen, ist er praktisch unschlagbar.
Und das ist nur der Anfang. Eine deutsche Medaillenflut sondergleichen setzt ein, das ganze Land gerät in einen Siegestaumel und vergisst alles andere. Die Welt atmet auf. Geschenkt, dass die Fernsehbilder aus einem Pub in Hackney, die eine Gruppe Deutscher zeigen, die zehn Glas Leitungswasser mit je einer Fünfzig-Pfund-Note bezahlt und mit starkem Akzent und in sehr unfreundlichem Tonfall Geschäftsquittungen verlangt und keinen Penny Trinkgeld gibt, sterbenslangweilig anzusehen sind. Schließlich ist niemand dazu gezwungen, das zu gucken.
Dafür erzielt die Übertragung des Zehners im „Getrenntzahlen mit Beleg“ in Deutschland Rekordeinschaltquoten. Die Rechte wurden so teuer bezahlt, dass damit Spanien und Griechenland quasi nebenbei saniert werden können – das sind schon einige Fliegen mit einer Klappe.
Deutschland verarmt und verwahrlost hingegen komplett. Der olympische Goldrausch verdrängt die Realität, alle Bürger sitzen nur noch vor der Glotze, die Produktion steht still. Kurz vor Weihnachten – Hans-Peter Friedrich ist längst zum Bundeskanzler auf Lebenszeit bestimmt und bekommt nun das halbe Dr.-Oetker-Imperium dazu sowie die Tochter von VW zum Weibe – ist es endlich so weit: die tausendste deutsche Goldmedaille. Stolz schildert Hotte Koslowski aus Berlin-Moabit, Schlagmann im deutschen Meckern-Vierer vor der internationalen Presse (Oranienburger Generalanzeiger, Weser-Ems-Kurier und Oberbayerisches Volksblatt) die entscheidenden Momente des Wettkampfs: „Ick hab nur jesacht: ’vaveif dir, du Vo’el – dit is keen Radwech!‘ Hat der Franzosenpiepel natürli’ keene Antwort mehr druffjehabt …“
Der einzige Wermutstropfen im Siegerkelch bleibt im Grunde der Verlust der Marschierer-Goldmedaille in der Klasse „Wahnsinnige unter 60 Kilogramm“ an Nordkorea. Doch das lässt sich verschmerzen.
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