Die Wahrheit: Das öffentliche Gnu
Dokumentationen: Mediale Präsenz als profane Opferrolle.
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Nicht erst seit den aktuellen Casting-, Auswanderungs- und anderen Demütigungsformaten ist das Fernsehen eine scheinheilige Angelegenheit. Doch während sich die Opfer medial ausgeschlachteter Renovierungsfeldzüge des Kalibers „Einmarsch in vier Wänden“ im Idealfall noch vor der Attacken von Tine Wittler und Konsorten erwehren können, gibt es seit Jahr und Tag eine Fernsehsparte, in deren Rahmen die Delinquenten sich eben nicht freiwillig fürs Zum-Trottel-Machen gemeldet haben, sondern durch die Bank weg ohne eigenes Einverständnis vorgeführt werden: die Tierdokumentation.
Dabei schien am Anfang doch alles so harmonisch. Denn was waren das früher noch für Zeiten – die Älteren werden sich erinnern –, als der fröhlich vor sich hin nuschelnde Professor Grzimek, gemütlich mit irgendeinem possierlichen Affen auf der Schulter, den staunend vor dem Fernsehgerät Hockenden die Wunder der Natur und damit gleichsam die ganze Welt erklärte.
Und obwohl da im Studio immer betont liebevoll miteinander umgegangen wurde, zeichnete sich doch bei genauerer Betrachtung der Einspielfilme schon sehr früh die Ungerechtigkeit und das fehlende Gleichgewicht im Umgang mit den vorgestellten Tiergattungen ab.
Das Paradebeispiel für die verräterische Zweischneidigkeit solcher Sendungen ist die Rolle, die auch heute noch das Gnu bei den entsprechenden Formaten einnimmt.
Nun ist das Gnu als solches zugegeben nicht so wahnsinnig aufregend und dergestalt auch nicht zwingend als der große weiße Hai unter den Rindviechern zu bezeichnen, aber alleine dieser Umstand sollte uns dieses liebenswerte Tier doch nur umso wärmer ans Herz legen.
Lieb in Herden trottend, tut es keinem etwas zuleide und konzentriert sich, gemächlich Gräser kauend, voll und ganz auf seine überschaubare Aufgabe, der afrikanischen Savanne ein Stück ihrer romantischen Authentizität zu verleihen.
Doch hierzu steht vollkommen konträr die Rolle, die das Gnu in der medialen Öffentlichkeit gibt. Es dient in Tierfilmen mehr oder weniger nur als laufendes Futterreservoir, somit lediglich als kulinarisches Beiwerk in der Berichterstattung und den zahllosen Reportagen um kreuzlangweilige Raubtiere wie etwa Ge- oder Leoparden.
Ist die Natur aber tatsächlich so vorhersehbar wie ein Tierfilm? Man ahnt vor dem Bildschirm schon recht deutlich, um welche Art von Safarifilm es sich da handelt, wenn man beim wahllosen Herumzappen beispielsweise auf folgendes Szenario stößt: Eine friedlich in der Mittagssonne an einem Fluss rastende Herde Gnus.
Darunter auch das obligatorische putzig anzuschauende, unerfahrene tapsige Jungtier, das nichtsahnend etwas abseits von den anderen drollig planschend eine kleine Erfrischung aus dem vermeintlich idyllischen Flüchen schlürft.
Spätestens da weiß man doch, was einen in den nächsten Sekunden erwartet, und hat blitzschnell analysiert – aha, ein Film über Krokodile. Beschränkt sich also die Rolle des Gnus tatsächlich nur auf so etwas wie eine mobile Fastfoodkette für dauergefräßige Raubtiere, organisiert in einer den naturgemäß bedingten Interessen der großen Fleischfresser unterstellten harakiriverwandten Art von „Essen auf Hufen“?
Eine Diskriminierung allenthalben. So sollte mit Randgruppen in der Tierwelt nicht umgegangen werden, auch wenn es sich quotenbedingt noch so sehr aufzudrängen scheint. Doch was seinerzeit bereits bei Grzimek funktionierte, wird gerade in unserer modernen Medienlandschaft nicht mehr in den Griff zu bekommen sein.
Längst sind die unzähligen in Echtzeit im TV verspeisten Gnus zum Synonym für die Scheinheiligkeit geworden, die noch weitaus fragwürdigeren Fernseh-Ideen Tür und Tor öffnete. Aber was will man auch von Zeiten erwarten, in denen vormalige Fernsehschreckgestalten wie Sportmoderatoren, Forensiker, Köche und Hundetrainer mit eigenen Live-Shows auf Tournee gehen.
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