Die Wahrheit: Akutes Waroutsyndrom
Eine erschreckende Kriegsmüdigkeit geht um im Lande.
„Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich das gewesen sein soll.“ Johannes Laber, 41 Jahre alt, gewinnendes Lächeln, deutet auf ein Foto. Es zeigt ihn selbst vor etwa sechs Wochen – blass, die Haare schlaff und glanzlos, die schmalen Schultern hängen herab, die Augen liegen tief in ihren Höhlen. „Ich weiß noch, das war direkt nach der ’Tagesschau‘ “, sagt Laber, „da haben sie wieder was über Afghanistan gebracht und über Irak und Somalia, da konnte ich einfach nicht mehr, ich wollte nur noch ins Bett und schlafen. Nur schlafen.“
Laber drohte seinen Job zu verlieren; er arbeitet als Kantinenkoch für das traditionsreiche Rüstungsunternehmen Heckler & Koch. „Den Schichtdienst hab ich einfach nicht mehr gepackt, ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, jeder Schritt war zu viel.“ Manchmal sei er „mit dem Gesicht im Topf“ einfach eingenickt. Wie ihm erging es plötzlich vielen seiner Kollegen.
In der gesamten Belegschaft beobachtete Laber „diese merkwürdige Schlaffheit“, alle seien „wie die Gespenster rumgeschlurft“. Bis eines Tages der Betriebsarzt die Diagnose stellte: Waroutsyndrom, zu Deutsch: akute Kriegsmüdigkeit. Der Mediziner verordnete strenge Quarantäne „wegen der hohen Ansteckungsgefahr“. Heckler & Koch habe schließlich auf Notproduktion umstellen müssen und die Bundesregierung um Unterstützung gebeten.
In Berlin zeigt man sich hilfsbereit – schließlich sei eine Epidemie zu befürchten. Wissenschaftler prognostizierten eine „totale Kriegsmüdigkeit“ der Deutschen spätestens für das Jahr 2020, heißt es aus dem Kanzleramt. In Umfragen sprächen sich schon jetzt immer mehr Bürger gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete und Auslandseinsätze der Bundeswehr aus.
Dies sei ein beunruhigender Trend, klagt Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU): „Die meisten argumentieren mit Menschenrechten. Aber das kann doch nun wirklich nicht das alleinige Kriterium sein.“ Alarmierend seien die Statistiken bereits in Großstädten wie Hamburg und Dresden; weite Teile der dortigen Bevölkerung fühlten sich „eigentlich schon seit 1945 ausgebrannt“, berichtet Guido Knopp, ehemaliger Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte.
Die Notlage von Heckler & Koch habe nun die Regierung zum Anlass genommen, „die Bürger insgesamt wieder für mehr Begeisterung zu begeistern“, so de Maizière. In Kooperation mit der Zeitschrift Men’s Health sei eine Broschüre entstanden, die in den nächsten Tagen an sämtliche Haushalte des Landes kostenlos verteilt werde. „Kriegsfit in nur 14 Tagen“ lautet das Programm: „So besiegen Sie den Warout!“
Laber gehörte zu den Probanden, die die Bundeswehr zum Training einlud: „Es war granatenmäßig!“ Jeden Morgen gab es Mental Coaching mit Guido Knopp. „Der hat ja alles drauf“, freut sich Laber, „Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Vietnam, Jugoslawien, Naher Osten, echt der Hammer. Und bei dem klingt alles so einfach, nachvollziehbar, super!“ Knopp habe zehn simple Formeln entwickelt, die sich leicht zu Hause nachbeten ließen. „Zum Beispiel: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Oder: Soldaten schützen unsere Freiheit und Sicherheit und das Recht jedes Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit“, trägt der Koch geschliffen vor, „das hat er aber beim Bundespräsidenten geklaut.“ Er räuspert sich: „Und den Satz wollte der de Maizière unbedingt dabeihaben: ’Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten.‘ “ Johannes Laber atmet tief durch. „Wenn Sie das jeden Morgen am offenen Fenster mit freiem Oberkörper aufsagen, geht’s Ihnen blendend. Dann haut Sie nix mehr um.“
Zum Training gehört auch ein spezielles „Fit for War“-Work-out, geleitet von Popstar-Coach Detlef D! Soost: „Am besten hat mir der Häuserkampf-Kurs gefallen“, sagt Laber: „ ’BRD – Bücken, Robben, Ducken‘. Das gibt hammermäßig Energie, kann man problemlos daheim nachmachen, einfach zwischen den Wohnzimmermöbeln.“ Er schlägt sich mit der flachen Hand auf den Bauch. „Hart wie Kruppstahl! Jetzt kann ich sogar mein eigenes Kantinenzeug fressen, ohne fett zu werden.“
Bei Heckler & Koch habe das Programm binnen weniger Tage Wirkung gezeitigt, berichtet die Unternehmensleitung, inzwischen bringe man in der Produktion Höchstleistungen. Das sei auch nötig, um die Lieferbarkeit einzuhalten, schließlich werde „durchschnittlich alle elf Sekunden ein Mensch durch eine Kugel aus einer Waffe von Heckler & Koch getötet“, so ein Sprecher.
Die Bundesregierung hat unterdessen bereits angekündigt, zu prüfen, ob sich dieses ehrgeizige Kriegsfitnesstraining auch international anwenden ließe. De Maizière: „Wenn wir irgendwo einmarschieren, und kein Schwein wehrt sich, macht das ja nur halb so viel Spaß.“
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