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Die WahrheitEin Pianistenleben mit Pferd

Kolumne
von Eugen Egner

Die meisten von Ihnen werden mich gewiss noch aus meiner Zeit bei Klingenberger kennen, darüber ist nicht zuletzt an dieser Stelle viel berichtet worden. ...

D ie meisten von Ihnen werden mich gewiss noch aus meiner Zeit bei Klingenberger kennen, darüber ist nicht zuletzt an dieser Stelle viel berichtet worden. Nur wenigen Menschen dürfte hingegen bekannt sein, dass ich in meiner Jugend über den Nominativ in der Musik promoviert und meinen Klavierschein bei Calvin Klostergott gemacht habe.

Der Umgang mit dem mir daraufhin vom Kulturamt zugeteilten Tasteninstrument machte mich aber, wie ich im Laufe der Zeit erkennen musste, ganz und gar nicht froh. Jeden Morgen musste ich erneut die Kontrapunktprüfung des Stützvirginals ausschalten, den Notensammler leeren und die Fingersatzvorschlagsfunktion deaktivieren. Auf Dauer war ich keinesfalls bereit, dergleichen mitzumachen, und setzte konsequent den Konzertflügel mit zwei Tasten durch (A und B).

Das war nicht ganz leicht für mich, weil ich nebenher noch der ehrenamtlichen Tätigkeit als Säugetier nachging. Der Fachpresse entnahm ich später, man habe mir dafür lediglich fünf Kopeken gezahlt. Weil ich es nicht glauben wollte, widersprach ich: „Ich habe meine Momente, aber ich habe mich nicht für fünf Kopeken weggeworfen!“

Vorsichtshalber überprüfte ich trotzdem mein Guthaben am Klavier und musste zu meinem großen Missvergnügen feststellen, dass bis zu diesem Augenblick keinerlei Zahlungseingang erfolgt war. Das hatte eine alarmierende Wirkung auf mich, denn schon in jenen Tagen war ein Leben ohne die notwendigen finanziellen Mittel einigermaßen unerfreulich.

Ich sprach deshalb beim zuständigen Amt vor, auf dass mir geholfen würde. Man hörte sich meinen Fall an, widerwillig zwar, doch notgedrungen vorschriftsmäßig. Nach eingehender Prüfung der Aktenlage schickte man mich schließlich mit einer Hammondorgel und einem Pferd, das ja ebenfalls unentgeltlich als Säugetier tätig war, auf Tournee durch die hinteren Gebiete.

Man darf sich das nicht allzu komfortabel vorstellen. Das Pferd zog die tonnenschwere Hammondorgel, und ich bezahlte das Pferd dafür aus eigener halbleerer Tasche. Wir hatten auch Kinder oder so etwas.

Wegen der finanziellen Belastung war es unerlässlich, hin und wieder anzuhalten und in zweifelhaften Etablissements Konzerte oder zumindest etwas ähnliches wie Konzerte zu geben. Wenn ich zu betrunken war, musste das Pferd die Orgel „schlagen“, wie wir seinerzeit zu sagen pflegten.

So ging es wohl jahrelang, die exakten Daten sind gelöscht worden. Was ich mir aber mit vierzehn nie hätte träumen lassen: Die Sache ging gut aus, die Tournee war erfolgreich. Geld blieb indessen keins übrig, das Pferd und ich verkauften daher widerrechtlich die Orgel. Aus Abnutzungsgründen dem Konzertbetrieb für immer entsagend, zogen wir uns, jeweils gut versorgt, aufs Altenteil zurück. Was das Pferd inzwischen tut, weiß ich nicht, ich jedenfalls rufe manchmal aus dem Fenster oder drücke Tasten. Am liebsten ist mir das Ans-Glas-Klopfen.

Wer nach all dem von mir enttäuscht ist, hatte falsche Erwartungen.

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