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Die WahrheitFatale Treue

Ein Heiratsantrag und seine brutalen Folgen.

Frieda Fogel ist eine bodenständige Frau. Siebzehn Jahre beim gleichen Arbeitgeber, siebzehn Jahre beim Discounter an der Kasse, und keine einzige Beschwerde. Immer zuverlässig, so gut wie nie krank. Die Kolleginnen mögen sie, ihren trockenen Humor, ihre Hilfsbereitschaft („Frau Fogel, kannsuma für mich einspringn aufn Sonnamnd?“).

Kaum zu fassen, dass dies die gleiche Frau ist, die den Menschen, der ihr am nächsten steht, mit einer Bratpfanne auf die Intensivstation geprügelt hat. Anlass für den aggressiven Ausraster: Walter Erdmann machte Frieda Fogel einen Heiratsantrag.

„Auch wenn es absurd klingt, das Verhalten der Frau Fogel war alternativlos“, so der psychomathematische Gutachter Prof. Guido Wagner vor dem Schöffengericht. Und dann rechnet er dem hohen Gericht vor: Seit sieben Jahren muss Frau Fogel jedem Kunden die gleiche Frage stellen: „Sammeln Sie Treuepunkte?“ Pro Minute fertigt sie zwei Kunden ab, das sind pro Stunde 120, macht an einem Achtstundentag 960-mal „Sammeln Sie Treuepunkte?“.

Ein Raunen geht durch den Gerichtssaal, der Gutachter fährt ungerührt fort: „In einem wissenschaftlichen Experiment klagten neun von zehn Personen, die 960-mal hintereinander ’Sammeln Sie Treuepunkte?‘ sagen mussten, über starkes Zittern, Halluzinationen, Atembeschwerden und Anzeichen von Persönlichkeitsspaltung. Die zehnte Versuchsperson weigert sich seit dem Experiment, überhaupt zu sprechen.“

Was diese Menschen an einem Tag durchmachen mussten, das erlebt Frieda Fogel seit sieben Jahren täglich: 1.800 mal pro Woche „Sammeln Sie Treuepunkte?“. Abzüglich Urlaub 48 Wochen im Jahr, macht 86.400-mal „Sammeln Sie Treuepunkte“, in sieben Jahren 604.800-mal: „Sammeln Sie Treuepunkte?“ Was mag in einem Menschen vorgehen, der den größten Teil seines Lebens dazu genötigt wird, wildfremde Menschen mit einer völlig dämlichen Frage zu belästigen?

In Frieda Fogel geht nichts mehr vor. Sie selbst spricht von einer inneren Leere, bis zu dem Tag, an dem ihr langjähriger Lebensgefährte Walter Erdmann sie zärtlich bei der Hand nahm, ihr einen goldenen Ring aufsteckte und sagte: „Meine Liebe, wir sind jetzt an einem Punkt, an dem ich dich fragen möchte: Wollen wir uns ewige Treue schwören?“

Der Ort für den Antrag, die Küche, war sicher unglücklich gewählt, Frieda Fogels Antwort eindeutig: „Treue? Du willst Treuepunkte? Ich gebe dir Treuepunkte.“ Sie nahm die gusseiserne Bratpfanne vom Herd und haute sie dem völlig perplexen Liebhaber auf den Kopf, dabei kreischte sie wie von Sinnen: „Und noch einen Treuepunkt.“ Wieder sauste die Pfanne mit einem metallischen Krachen auf die Schädeldecke des Bräutigams in spe. „Du willst Treuepunkte sammeln?“ Ein drittes Mal …

Im Gerichtssaal verbreitet sich Betroffenheit, als Frieda Fogel noch einmal die Situation nach dem Heiratsantrag schildert, zur Demonstration die Tatwaffe in die Hand nimmt. Richter Hanno Seidel und der geprügelte Galan mit Turban aus Mullbinden schauen sich an. Jedem hier ist klar: Die wahren Schuldigen sitzen in den Büros der Discounter. Das Urteil wird an diesem Tag noch nicht gefällt, doch eines steht fest: Walter Erdmann hat Frieda Fogel verziehen. Ewige Treue wird er ihr allerdings besser nie wieder schwören.

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4 Kommentare

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  • R
    Richard

    @Jörn und Christian

    JA

    mehr darf ich seit Jahren eh nicht sagen

  • R
    Richard

    @Jörn und Christian

    JA

    mehr darf ich seit Jahren eh nicht sagen

  • C
    Christian

    Ich bin der gleichen Meinung wie Jörn : Dieses ganze

    Emanzipationsgerede hat nur dazu geführt, dass Frauen härter zuschlagen, und das ohne schlechtes Gewissen. Als Mann weiß man heute nie, wann es was hinter die Ohren gibt, beim kleinsten Anlass.....Das zeigt ja auch

    dieser Bericht, zum Glück gibt es noch die Justiz, die

    sich darum kümmert.

  • J
    Jörn

    Es handelt sich hier um Gewalt in Paarbeziehungen, über die sich lächerlich gemacht wird. Das Opfer war nachher so schwer verletzt, dass es auf die Intensivstation musste. Hätte der Mann geschlagen, so gäbe es keine Entschuldigung und kein Artikel oder Gutachter würde schmunzelnd nach den "wahren Schuldigen" suchen.

    Gewalt in Paarbeziehungen ist indiskutabel. Dies gilt unabhängig von der beruflichen Tätigkeit oder anderen Vorbelastungen und unabhängig vom Geschlecht.

    Schade dass die taz hier so sexistisch Gewalt gegen Männer bagatellisiert.