Die Wahrheit: Keime und Geschleime
Schleimfrei durch die Schniefsaison.
Jedes Jahr die gleiche Leier: Rotzend, hustend, röchelnd und keuchend schleppen sich leichenfahle Mitbürger durch die Straßen dieser Republik. Der kalte Schweiß fließt ihnen in Sturzbächen von den fiebrigen Stirnen. Unvorsichtige Kinder nutzen die entstehenden Seen für ein kurzes Badevergnügen, nur um bald selbst den infamen Viren zu erliegen.
Ja, die Grippesaison ist da. Dieses Jahr noch früher als sonst. Die Wirtschaft liegt am Boden, der Mensch im Bett, das Land ist handlungsunfähig: grippaler Defekt. Tagsüber halten Grippegesellschaften Tagungen zum Thema „Perfektes Abhusten“, nachts werden in Grippeklubs Medikamente gedealt. Die Situation scheint ausweglos. Egal wo Sie hinkommen – Bakterien, Viren, Keime und Geschleime. Doch Sie können sich dagegen wehren! Dieses Jahr können Sie dem Elend ein Schnippchen schlagen. Mit den ultimativen Wahrheit-Gesundheitstipps!
Am Arbeitsplatz
Das Büro ist nicht nur der ödeste Platz der Welt, hier liegt die Ansteckungsgefahr bei über 110 Prozent. Zwölf von elf Menschen stecken sich während ihrer Arbeitszeit an – und das fast jeden Tag! Halten Sie permanent eine große Flasche Desinfektionsspray im Anschlag. Die Devise lautet: Erst sprayen, dann sprechen! Hinter jeder Zimmerpflanze könnte ein Kollege lauern, der nur darauf wartet, Sie anzustecken. Deswegen sollten Sie im Büro alles Grünzeug abbrennen. Praktischerweise lässt sich das Desinfektionsspray mit einem Feuerzeug zum Flammenwerfer umrüsten. Diesen Krieg gewinnen Sie nur gut vorbereitet!
Notfallplan fürs Büro
Ist die Lage erst eskaliert und die Hälfte der Belegschaft bettlägerig, tritt der Notfallplan in Kraft. Reden Sie mit niemandem! Nicht einmal mit sich selbst! Sobald Sie Ihr Plappermaul öffnen oder nur durch die Nase atmen, bereiten Sie tückischen Viren den Weg in Ihr filigranes Immunsystem. Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, das Telefon anzurühren! Wer weiß schon, welche verseuchten Patschhändchen ekelhalfte Keimsubstrate darauf verschmiert haben! Lassen Sie Ihren Chef nicht zur Tür herein, auch wenn er sich über Ihr asoziales Verhalten beschweren will. Er ist der Mensch mit den meisten Sozialkontakten in der Firma, ein wahres Viren-Mutterschiff. Am besten rollen Sie sich in Embryonalhaltung unter dem Schreibtisch zusammen und schließen fest die Augen. Träumen Sie von sanften Desinfektionstüchern und keimfreien Zonen zu Hause.
Zu Hause
Wenn Sie dann endlich Ihren Job los sind, ist es nahezu ein Kinderspiel, gesund zu bleiben. Besorgen Sie sich auf einer Baustelle einen Luftentfeuchter, kaufen Sie Konserven für mindestens zwei Wochen und Alkoholika für ein halbes Jahr – gegen die Langeweile. Dann schließen Sie sich zu Hause ein. Dichten Sie die Fugen ab, kleben Sie die Fenster mit schwarzer Plastikfolie zu. Drehen Sie die Heizung auf die höchste Stufe und nehmen Sie den Luftentfeuchter in Betrieb. Heiße trockene Luft ist der beste Schutz gegen Grippe. Oder haben Sie schon mal einen Wüstenbewohner mit Grippe angetroffen?
Notfallplan für zu Hause
Sie haben über all dem Verbarrikadieren ganz vergessen, dass Sie eine Familie haben? Partner und Kinder stehen wütend vor der Haustür und fordern sofortigen Einlass? Werden Sie in diesen kritischen Momenten nicht schwach! Kinder besuchen Kindergärten und Schulen! Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Kontaminationsgrade bei derartigen Gruppentreffen erreicht werden. Und wo sich Ihr Ehepartner wieder herumgetrieben hat, das wollen Sie gar nicht wissen. Stellen Sie sich so lange tot, bis diese furchtbaren Viren-Nomaden abgezogen sind und anderswo Unheil anrichten.
Nach der Epidemie
Irgendwann müssen Sie leider Ihre Wohnung wieder verlassen. Spätestens, wenn die Alkoholvorräte zu Ende gegangen sind. Sie werden draußen frieren, so viel ist klar. Schließlich hatten Sie es bei 45 Grad und herrlich trockener Luft wunderbar kuschelig in Ihrer komfortablen Schutzzone. Auch die sechs Monate ohne Sonnenlicht werden Spuren hinterlassen haben.
Richten Sie sich darauf ein, die ersten 500 Meter blind zurücklegen zu müssen. Dass dort draußen immer noch Krankheitsgefahren drohen, ist nicht auszuschließen. Doch Sie waren klug und nicht untätig. Denn Sie haben die Zeit daheim genutzt, um einen Schutzanzug zu basteln. Dafür haben Sie alte Plastiktüten, den Sofabezug und die Unterwäsche Ihres Partners benutzt. Falls nicht, tun es auch vier Rollen Frischhaltefolie. Ganz wichtig allerdings ist: Verzichten Sie unbedingt auf einen Atemschlitz, sonst ist alles für die Katz. Wenn Sie es, so ausgerüstet, tatsächlich bis vor die Tür schaffen sollten, denken Sie immer daran: Die Spanische Grippe erkennen Sie am gelispelten S.
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