Die Wahrheit: Zug und Gegenzug für Engelszungen

Ein Streit zwischen Landschaftsmalern und Bahnbefürwortern droht zu eskalieren. Ich soll vermitteln.

Weil ich aus einer bekannten Familie stammte, die früher eine eigene Spezial-Eisenbahnlinie betrieben hatte, genoss ich in einschlägigen Kreisen ein gewisses Ansehen. Deshalb war es keine Überraschung für mich, als ich zum Außenposten gerufen wurde, um in dem eskalierenden Streit zwischen Landschaftsmalern und Bahnbefürwortern zu vermitteln.

Zuerst arbeitete ich das Verbindende heraus. Es zeigte sich, dass zwischen beiden Parteien in einem wichtigen Punkt prinzipiell Einigkeit bestand. Dem Standpunkt der Landschafter, „Jedem Malen geht ein Planen voraus“, entsprach die Überzeugung der Bahnbefürworter: „Jedem Bauen geht ein Planen voraus.“ Man verständigte sich auf die Formel „Jedem Handeln sollte ein Planen vorausgehen.“

Danach wurde es schwieriger. Die Landschaftsmaler hatten den Vorteil einer sozusagen naturgegebenen Position, von der sie alles Recht ableiten zu können glaubten: „Die Landschaft war zuerst da.“ Behutsam wollte ich versuchen, die prinzipielle Veränderbarkeit der Landschaft in die Diskussion einzubringen, indem ich, das Element der Bahn noch völlig aussparend, die Schaffung einer Landschaft thematisierte. Doch damit erregte ich den Unwillen der Landschafter. „Es kann sich da doch nicht jeder beispielsweise selbst ein Gebirge bauen!“, wurde gewettert. „Das würde der vollen Befriedigung der Landschaftsbetrachtung zuwiderlaufen!“

An dieser Stelle schien es mir geboten, der Gegenseite ein wenig Unterstützung zu geben: „Die Schönheit der Natur wird dem Menschen doch erst durch die Bahnfahrt recht erschlossen.“ Leider wurde mein letztlich auf Konsens zielendes Argument von den Bahnleuten als Parteinahme zu ihren Gunsten missverstanden, wodurch sie sich zu dem Postulat ermutigt fühlten: „In der Landschaft ist die Bahn das Primäre!“ Das hatte wiederum einen wütenden Aufschrei der Landschafter zur Folge, und ich konnte wieder von vorn anfangen.

Ich redete mit Engelszungen, übertraf mich selbst auf dem Gebiet der Diplomatie und zitierte aus einem alten Faller-Lehrbuch, „Modellbau leicht gemacht“: „Es soll doch stets die gegenseitige Abhängigkeit und organische Zusammengehörigkeit von Natur und Technik zum Ausdruck kommen. So wenig das Vollstopfen mit allzu viel bahntechnischen Dingen sinnvoll ist, so wenig wäre die einseitige Betonung der Landschaft das Richtige.“

Nach zähen Verhandlungen konnte ich schließlich den Landschaftsmalern das Zugeständnis abringen: „Es soll nicht gesagt sein, dass unsere Ansicht die einzig richtige sei.“ Im Gegenzug räumten die Bahnbefürworter ein: „Eine Gleisstrecke ohne jedes landschaftliche Zubehör wirkt eintönig.“

Abgekämpft schleppte ich mich an diesem Abend ins Bahnhofshotel zurück. Bei der Rezeption lag eine Nachricht für mich: Eine gewisse Charlotte Krüger lud mich zu einer Party ein. War das nicht der Name der Frau, wegen der sich in meiner Kindheit ein Mann vor die Bahn meiner Eltern geworfen hatte? Wie geschah mir? Offenbar bahnte sich eine neue Geschichte an.

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kari

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