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Die WahrheitAm sichern Gestade

In Zeiten der Wohnungsnot heißen plötzlich alle Behausungen nach dem unbehausten Dichter Hölderlin. Speziell der Südwesten verhölderlint.

Nah am Wasser gebaut: Hölderlinturm in Tübingen. Bild: dpa

Der großteils unbehauste Dichter Friedrich Hölderlin dachte gern an das Wohnen: „Will einer wohnen, So sei es an Treppen, Und wo ein Häuslein hinabhängt, Am Wasser halte dich auf.“ Oder so: „Nah wohnen, ermattend auf Getrenntesten Bergen.“ Und so: „Oder geduldig auch wohl im furchtsamen Banne zu wohnen.“

Hölderlin wünschte ein Wohnen „am sichern Gestade“, aber es war ihm beschieden: „Zu wohnen einsam, jahrlang, unter Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen Die Feiertage der Stadt, Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.“ Er klagte: „Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen …“ Aber: „Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten wie der Diamant im Schacht …“ Und stellen uns vor: „Ja! im grünen Dunkel dort, wo unsre Bäume, die Vertrauten unsrer Liebe stehn, wo, wie ein Abendrot, ihr sterbend Laub auf Diotimas Urne fällt und ihre schönen Häupter sich auf Diotimas Urne neigen, mählich alternd, bis auch sie zusammensinken über der geliebten Asche, – da, da könnt ich wohl nach meinem Sinne wohnen!“ Nicht jedoch in Heidelberg: „An Neckars Weiden, am Rheine, Sie alle meinen, es wäre Sonst nirgend besser zu wohnen. Ich aber will dem Kaukasos zu!“

Hölderlins Wohnungsnot ist heute aktueller denn je. In einer „Übersicht zu einer Philosophie des Wohnens“ heißt es: „Für Heidegger wurden in jener Epoche seines Schaffens die Sprachschöpfungen Friedrich Hölderlins zur Inspirationsquelle, der von einem dichterischen Wohnen des Menschen sprach. Immerhin, so lässt sich mit Heidegger verbinden, kann und muss das Wohnen im Zusammenhang eines allgemeinmenschlichen Daseinsverständnisses und Weltgefühls bzw. Gestimmtseins gefasst werden.“

Für Hölderlin hieß „’Dichterisch wohnen‘: in der Gegenwart der Götter stehen.“ Eine Dissertation an der Universität Oldenburg befasst sich deswegen mit der „Beziehung zwischen der hölderlinschen Kritik der Vernunft und der Möglichkeit eines dichterischen Wohnens, um dem dichterischen Wohnen Bestimmungen zu geben.“

Denn dieses macht auch heute noch den Dichtern Probleme, wie Georg Kreisler in seiner Dankesrede für den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg ausführte: „Ich konnte mir gerade leisten, in einem Hotel zu wohnen, das drei Dollar im Tag kostete und dementsprechend aussah. An eine Wohnung war nicht zu denken, woher hätte ich das Geld für Möbel nehmen sollen? Alles kein Vergleich mit Hölderlin, der nie hungrig war und immer einen Schlafplatz hatte.“

Es gibt schon ein „’Hölderlinquartier‘: Eine neue Perle im Zentrum Nürtingens. Es erwartet Sie ein attraktives Gebäudeensemble mit sieben Mehrfamilienhäusern, die alle nach Süden ausgerichtet sind.“ Und in Fellbach eine Hölderlin-Wohnförderung: „Durch das kommunale Förderprogramm wird das auch ökologisch zukunftsweisende Baukonzept des ’Hölderlin Carrés‘ mit ’Familienstartgeld‘ von 4.000 Euro für jedes Kind unter 16 Jahren gefördert.“ Aus Frankfurt kommt das Angebot: „In diesem Haus befindet sich oben rechts eine Wohnung, in der seit 1987 Hölderlin-Forscher einige Wochen lang unentgeltlich wohnen und arbeiten können.“

Stuttgart meldet: „Im August 2008 ist es soweit, die ’Hölderlin Suite‘ ist fertig und kann ab September bezogen werden.“ Zu mieten ist dort ferner ein „Ein-Zimmer-Apartment“ im „Hölderlin-Hochhaus“. Aus Essen wird berichtet: „Das Besondere an dem Wohn-Komplex ’Hölderlin 2‘ ist, dass die Firma ’Allbau‘ nicht nur die Wohnräume vermietet …“ In Hamburg ist ein „Hölderlin e.V.“ ansässig, der Beratung bietet: „… Anthroposophie, Depression, Soziotherapie, Betreutes Wohnen …“

Und in Berlin gibt es die Firma: „’Hölderlin&Co‘. Unser Team arbeitet an dem Ziel des gesamten Unternehmens prenzlkomm: Die vollständige Genesung der Klienten im Kontext ihrer Lebenssituation. prenzlkomm gGmbH Abteilung Hölderlin&Co. Schönhauser Allee.“

Die Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz gibt bekannt: „Die Götter Hölderlins wohnen im hegelschen Begriff – Versuch einer Beschreibung dieser göttlichen Wohnstätte. 10.15-10.30. Diskussion.“

Die Schaubühne gibt Hölderlins „Hyperion“: „Auf der Bühne ist eine bürgerliche Wohnung aufgebaut – mit Sitzgruppe.“

Das schlossartige Ensemble „F.X.Mayr-Zentrum“ am Bodensee annonciert: „Wohnen im ’Hölderlinhaus‘ – benannt nach dem Dichter Friedrich Hölderlin, der hier im Juni 1796 glückliche Wochen verbrachte.“ Er dichtete dort: „und liebt er nicht, so ist er eine dunkle Wohnung, wo ein rauchend Lämpchen brennt.“

Deswegen muss hier Heidegger noch mal ran – und einiges über „Das Wohnen des Menschen“ klarstellen: 1. „’Wohnen‘ ist technisch praktisch gesehen das Innehaben einer Unterkunft.“ Und 2. „Hölderlins Wort: ’Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde‘ wird kaum gehört, ist noch nicht gedacht.“

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