Die Wahrheit: Leichtfigur der Landstraße

Im Jahr 1898 waren alle Reifen grau oder beige. Dann erfand der Franzose Edouard Michelin das Reifenstapelmännchen Bibendum.

Der Name des weißen Wonneproppens bedeutet „Lasst uns trinken!“ Bild: reuters

Die bekannteste unbekannte Comic-Figur sitzt vorne beim Lkw-Fahrer oder sonnt sich auf dem Kühlergrill: das Michelin-Männchen. Tausendmal gesehen, aber wie heißt es eigentlich? Das weiß in Frankreich jedes Kind: Der weiße Wonnepropppen heißt „Bibendum“. Ein denkbar unpassender Namen für ein Reifenmaskottchen, bibendum heißt nämlich auf Lateinisch „Lasst uns trinken!“. Darum heißt er wohl auch auf der deutschen Firmen-Website harmlos „Michelin-Mann“.

Schuld an dem Trunkenbold-Namen ist Firmengründer Edouard Michelin, der den Spruch „Nunc est bibendum!“ auf einer bayrischen Bierreklame entdeckte. So rief uns Bibendum dann auf seinem ersten Werbeplakat zu: „Jetzt lasst uns trinken! Auf Ihr Wohl! Der Michelinreifen schluckt das Hindernis!“ Dazu hebt Bibendum eine Champagnerschale mit Glasscherben in die Höhe. Schluck. Der wulstige Trunkenbold Bibendum verdankt sein Äußeres einem Stapel Autoreifen, bei dessen Ansicht Onkel Edouard ausrief: „Wenn er (der Stapel) Arme hätte, sähe er fast wie ein Mensch aus!“

Ganz nüchtern war Monsieur Michelin dabei vermutlich nicht – und das Reifenmännchen war geboren. Weil die Reifen in weißen Stoff verpackt waren, wurde Bibendum auch weiß, heißt es in den Entstehungslegenden. Aber damals im Jahr 1898 waren alle Reifen grau oder beige, schwarz wurden die Reifen erst 1912, als ihnen ein Kohleanteil zum Schutz beigemischt wurde. Schluckspecht Bibendum, kurz Bib genannt, rauchte zum Champagner dicke Zigarren und trug ein angeberisches Lorgnon, also eine Brille mit Stiel, die er offenbar gar nicht brauchte, weil er sie später ablegte.

Sah Bibendum zunächst mit seinem Körper aus 40 schmalen Fahrradreifen aus wie eine Mumie auf der Flucht, wurde er später deutlich wulstiger, sein Körper nahm durch 26 Schwimmringe die Form des späteren Hulks an. Möglicherweise ist auch Obelix-Zeichner Uderzo von seinem Äußeren inspiriert worden und auch der Zeichner von Unkerich in „Lurchi“.

Auch die frühen Gewaltexzesse des Michelin-Männchens gerieten bald in Vergessenheit. So hat Bibendum einst als Gladiator auf einem Werbeplakat die Reifenmänner der Konkurrenz gnadenlos zerlegt und stellte sogar triumphierend einem der blutenden Gegner die Sandale auf den Hals! Zeichner O’Galop hatte schon auf dem ersten Plakat die Reifenkonkurrenz in Gestalt von John Boy Dunlop und dem Chef von Continental lächerlich gemacht, die als jämmerlich zusammengeflickte Schlauchmänner zu dem propperen Trunkenbold Bibendum aufblicken.

Doch Reifenmann Bibendum wurde reifer, schwor der Gewalt ab und gab sich fortan als flugunfähiger Engel der Landstraße. Auf einem Werbebild ist zu sehen, wie er selbstlos Autofahrern bei einer Reifenpanne einen Reifen aus dem eigenen Körper spendet.

1929 hörte Bibeman, wie man ihn in den USA nennt, auch noch auf zu rauchen, weil in dem Jahr eine Tuberkolose-Epedimie grassierte. So etwas kommt an, und es war kein Wunder, dass der rundum erneuerte Reifenmann zur Jahrtausendwende zum „Greatest logo in history“ gewählt wurde. Das Logo der Londoner U-Bahn wurde lediglich Zweiter.

Das Leben von Bibendum ist mittlerweile ruhiger geworden, und man würde ihm gern mal einen heißen Flirt mit dem Pirelli-Mädchen wünschen, doch so was kann er sich wohl nicht mehr leisten, wo er zu einer regelrechten Leuchtfigur der Landstraße geworden ist: Bibendum gibt es als beleuchtete Kühlerfigur im Internet für 51 Euro.

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kari

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