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Die WahrheitTödliche Pilze

Teil 10 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um Finnland“. Heute: Fast ist das Ende in Helsinki erreicht.

Numminen und Hietanen als Hasen beim Konzert in Helsinki. Bild: B. Gieseking

Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die Wahrheit, die sonst strikt Umrundungen aller Art ablehnt, Finnland.

Kotka an der finnischen Südküste. Meine letzte Übernachtung vor Helsinki. Nach Wochen zwischen Rentieren und Überlandleitungen staune ich über Ampeln und ein Windrad. Im „Maretarium“ hier in Kotka schwimmen ausschließlich finnische Fische, und ich weiß endlich mal, wie lebend aussieht, was ich in den letzten Wochen auf dem Teller hatte. Dann gehe ich auf die finalen Kilometer und folge der „Königsroute“ entlang der Küste.

Bald bin ich rum. Mir wird melancholisch zumute. Meine Finnland-Umrundung ist fast beendet. Ympäri Suomen. Ich war in jeder Ecke, in Nord-West und Süd-Ost und im nördlichsten McDonald’s der Welt in Rovaniemi. Was bleibt? Also, erst mal, das mit den Elchen ist Quatsch. Nicht einer! Ich bin jetzt einmal komplett um Finnland herum gefahren. In keiner Ecke war einer. Es sei denn, die hätten sich alle vor mir in der Mitte versteckt.

Ich habe alles versucht, ich bin vom Weg abgefahren, streckenweise hatte ich das Gefühl, schon in Russland zu sein, der Elch jedoch kommt nicht. Aber Mücken kommen, da kannst du machen, was du willst. Jedenfalls oberhalb des Polarkreises. Trotzdem muss man da hin! Jeder. Einmal im Leben mindestens. Dafür kann man schon ein paar Tropfen Blut opfern. Schon Konfusion, der große ostwestfälische Weise hat gesagt: „Wer nie in Lappland war, hat nicht gelebt.“

Wochen unter Finnen. Ein herrliches Volk. Und bei Weitem nicht so verschlossen, wie es immer gesagt wird. Lustig vor allem. Sie sind sich mancher Schrägheiten und vor allem der Alkoholgesetze sehr bewusst. Und absolut „hilfsbreit“. Ja, Finnen trinken manchmal. Aber das tun die Deutschen auch. Im Pro-Kopf-Verbrauch liegt Finnland europaweit hinter uns! Oft zu trinken, kann sich hier keiner leisten. Sich richtig betrinken, ist immer noch eine sehr teure Angelegenheit.

Ortseingangsschild Helsinki. Irgendjemand müsste mir mit der schwarz-weiß karierten Zielflagge winken. Ich will noch eine letzte Außergewöhnlichkeit erleben, ein Kesähotelli! Das Sommer-Hotel. Man übernachtet im Sommer zum Teil in Schulen, manchmal in Studentenwohnheimen. Also liege ich in Helsinki am Abend grinsend im Bett in einem Klassenzimmer und stelle mir vor, deutsche Hausmeister müssten diesen jährlich zwiefachen Umbau machen.

Samstagmorgen. Ich fahre mit der einzigen U-Bahn-Linie Finnlands in die Stadt. Im Alppipuisto-Park werde ich mir das große Umrundungsgeschenk machen. Ich werde ein Kinderkonzert sehen meiner Lieblingsfinnen M.A. Numminen und Pedro Hietanen. Numminen ist ein Vielfachbegabter: Komponist, Komiker, Philosoph, Schriftsteller, Tango-Experte, eine Mischung aus Loriot, Otto und Helge Schneider, der aber immer noch mit Pedro in ein Katzen- und ein Hasenkostüm klettert und unter größtem Beifall Kinder bespaßt. Was Abba für Schweden, das ist M.A. Numminen für Finnland. Ein Denkmal!

Ich kenne beide vom Komik-Festival des Caricatura-Museums in Frankfurt. Nach dem Auftritt schlägt M.A. vor: „Ich zeige dir die schlimmste Kneipe Helsinkis. Dort sitzt alles drin, was grad nicht im Knast sitzt.“ – „Bist du dort meine Lebensversicherung?“, frage ich. „Bin ich“, strahlt er. „Sie kennen alle mein Buch ’Der Kneipenmann‘“.

Wir betreten die schlimmste Kneipe Finnlands. Drinnen sitzen eine alte Dame und ein einsamer Mann am Fenster. Die Barfrau freut sich über neue Kundschaft, und selbstverständlich kennt sie M.A. „Wo sind denn die ganzen Kriminellen?“, flüstere ich. M.A. bestellt Gin Tonic, grinst und sagt: „Sind wohl in ihren Mökkis. Machen Sommerurlaub. Wie alle anderen auch.“

Sonntagmittag. Vor der Abreise gehe ich essen mit meinem finnischen Freund Ville, Fortuna-Düsseldorf-Fan, aber sonst ganz in Ordnung. Er empfiehlt sein Lieblingsessen: Korvasieni. Frühjahrs-Giftlorcheln. Die, vor denen mich Pirkko und Günter in Sulkava schon gewarnt hatten. Wenn sie richtig zubereitet sind, schmecken sie fantastisch. Wenn nicht, sind sie tödlich. Sie müssen viermal gekocht werden, sagt Ville, im Freien oder bei offenem Fenster, denn sogar die Dämpfe sind tödlich.

Ich war im Ivalojoki schwimmen, ich habe den Mücken getrotzt, da knicke ich bei Pilzen nicht ein. Ich bestelle das! 24 Stunden nach Verzehr hat man überlebt oder eben nicht. Ville sagt, Fortuna-Fan zu sein, sei manchmal wie Korvasieni essen.

Am Abend bin ich in Turku. Meine letzte Nacht in Finnland. Morgen früh kommt die Fähre. Ich gerate in eine Vernissage. Zwei Finnen rappen. Man trinkt Dosenbier. Ich denke an die Pilze. Und schaue auf die Uhr. Noch keine 24 Stunden. Bin gespannt, ob ich je wieder einen Text schreiben werde. Ich kaufe ein letztes Bier. Finnland. Kein schlechtes Land, um zu sterben.

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