Die Wahrheit: In der Paybackhölle
„Haben Sie eine Kundenkarte?“ Ich hasse diese Frage. Warum ich einfach mal so an der Kasse blechen und nicht länger an kapitalistischen Auswüchsen leiden will.
W er, wie ich, strikt und unbelehrbar ungläubig ist, ist offenbar verdammt dazu, die Hölle schon auf Erden zu erleben. Der Kapitalismus soll ja angeblich der Himmel sein, aber nee, warten Sie mal, in den Himmel kommen Sie erst mit der 1.500-Punkte-Option und 375 Euro Zuzahlung.
Egal wo und wie ich irgendwas einkaufe, immer will man mir eine Kundenkarte aufschwatzen, Superpunkte, Creditpoints oder Gute-Laune-Dots berechnen, und „Sammeln Sie Tierbilder?“ ist noch eine der harmloseren Fragen an der Kasse. Als meine Stammapotheke den Besitzer wechselte, wurde mir ein kompliziertes Formular vorgelegt, das mich künftig zu drei Prozent Rabattgewinn auf alle Nicht-Medikamente berechtigte. Die Payback-Abteilung meines Hirns errechnete, dass sich meine Ausgaben für Zahnseide im Monat um sensationelle neun Cent verringern würden.
„Und nicht nur das!“, prahlte die Apothekerin, während sie mir vor lauter Paybackbegeisterung ein falsches Medikament in die Tüte packte, „denselben Betrag spenden wir für notleidende Kinder!“ Da muss man natürlich schon ein menschliches Monster sein, um dieses Angebot auszuschlagen.
Meine geniale Verweigerungsstrategie geht leider auch nicht mehr auf. Sie bestand darin, statt eines Säckchens voller Plastikausweise stets einen mürrischen Gesichtsausdruck mit mir zu führen, auf dem in Kassiererinnendeutsch zu lesen steht: „Fragen Sie mich bloß nicht!“
Seitdem werden mir einfach Gutscheine in die Hand gedrückt. An der Tankstelle gibt es Rabatt auf Elektrogeräte, nein, ich will nicht wissen, warum. Im Supermarkt ist neuerdings schon der Kassenzettel ein Rabattgutschein für mal dieses, mal jenes Produkt. Wenn es etwas ist, was sogar ich kaufen würde, gibt es Rabatt erst ab zwei Packungen, und falls ich doch einmal zwei in meinen Einkaufswagen lade, dann gilt der Rabatt eben erst ab drei.
Die Bahn schickt mir Fahrkartengutscheine, die aber nur für Mitfahrer, nicht freitags, nur für Hinfahrten, nach Voranmeldung, nur innerhalb der nächsten zwei Wochen, bei Sonnenschein und falls die große Koalition was wird, gelten. Wissen diese Leute nicht, was sie anrichten? Wie ich mich immer gräme, wenn ich wieder so ein Ding wegwerfen muss, weil niemand umsonst mitfahren will zur Konferenz „Hermeneutik für Anfänger“ in Klein-Oesingen …
Mein einziges noch aktiv genutztes Payback-Programm war bis vor kurzem das des örtlichen Bahnhofskiosks. Dort gibt es für jeden Kaffee einen Stempel auf ein hübsch altmodisches Papptäfelchen. Allerdings fahre ich nicht immer vom selben Bahnhof aus in die Welt, und so kam es, dass, als ich stolz mein volles Kärtchen vorlegte, um den lang ersehnten Umsonst-Kaffee zu genießen – also ganz die treue Traumkundin jedes Händlers –, der freundliche Mann noch breiter grinste als ich: „Die Karte ist gestern abgelaufen.“ Er drückte keines seiner beiden Augen im feisten Kioskbesitzergesicht zu. Seitdem reise ich mit einer Thermoskanne. Sie tropft, aber ich habe sie für nur 500 Rabattmarken bekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione