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Die WahrheitExplosive Dollars

Ein „militärischer Hintergrund ist nicht erkennbar“. Wie das Pentagon Grundlagenforschung an einer deutschen Universität finanziert. Eine Reportage.

Frieden durch Panzer. Bild: dpa

„Es gab und gibt keine direkte Zusammenarbeit mit den amerikanischen Streitkräften, Sir!“, bellt Dozent-Sergeant Gerald Hartmann. „Wir betreiben hier bloß Grundlagenforschung. Alles vollkommen harmlos, aber jetzt sollten Sie in Deckung gehen, Sir!“ Dann rumst es gewaltig, und die Wucht der Detonation reißt mich fast um. „Und das ist ganz sicher das Seminar für neulateinische Hymnik?“, frage ich einen Studenten, der neben mir in den Schützengraben gehechtet ist.

„Nein, das hier ist die Einführung in nikomachische Ethik“, antwortet der junge Mann brüllend, während uns Erdklumpen um die Ohren fliegen. „Neulateinische Hymnik ist drüben bei den Panzersperren.“ Gemeinsam robben wir unter einem Stacheldrahtverhau hindurch, während man uns zwingt, altgriechische Verben zu konjugieren und dabei mit Unrat bewirft.

„Einen militärischen Hintergrund kann ich beim besten Willen nicht erkennen“, meint jedoch auch der Student auf meine entsprechende Frage, die ich atemlos hervorpresse, als wir den Hindernisparcours endlich überwunden haben. Der junge Mann, der bloß „Joker“ genannt werden möchte, will später über herrschaftsfreien Diskurs als Theorie kommunikativen Handelns promovieren.

„Das ist natürlich eine gewisse Herausforderung, die mündlichen Prüfungen mit einem Sack über dem Kopf auf einer Kiste stehend abzulegen“, erklärt „Joker“ lachend, den ich zur Sprechstunde mit seinem Doktorvater begleiten darf. Angeregt diskutieren die beiden ein Thesenpapier, während der Student mit dem Habermas’schen Gesamtwerk im Tornister die obligatorischen dreihundert Liegestütze ausführt. Anschließend darf er mit seinem Papier die Latrine putzen; dies gilt hier als hohe Auszeichnung.

Ein brandneuer Doktortitel

Ich bin als Gasthörer im Thomas-Kurz-Institut eingeschrieben, eine der wenigen geisteswissenschaftlichen Forschungsstätten, die vom Geldsegen des amerikanischen Verteidigungsministeriums profitieren konnten. Während zahlreiche deutsche Naturwissenschaftler im Auftrag des US-Militärs ganz handfest an Panzerglas und Sprengköpfen forschen, erschließt sich der militärische Nutzen der Arbeit des Instituts nicht auf den ersten Blick.

„Ich bin, ehrlich gesagt, überfragt, welchen Dual-Use-Effekt sich die Amerikaner versprechen“, sagt der renommierte Bildungsexperte Dr. Dirk Merseburger. „Ich bin nicht mal sicher, ob man überhaupt von einem Single-Use-Effekt sprechen kann.“ Und dennoch finanziert das Pentagon hier seit Jahren eine Vier-Sterne-Professur, genauer gesagt, die von Prof. Dr. Thomas Kurz. Der Selfmade-Gelehrte, der an der Alma Mater Alma Atas Verschwörungstheorie und peinliche Befragung gelehrt haben soll, hat seine Forschungseinrichtung auf einem alten sowjetischen Übungsplatz in einer besonders gottverlassenen Ecke der Lausitz gewissermaßen im Alleingang aufgebaut.

„Eines Tages stand er einfach da, nur mit seinem Fallschirm und einem Koffer Geld“, erinnert sich ein Dorfbewohner, während „der Colonel“, wie Kurz hierorts in einer Mischung aus Respekt und Furcht genannt wird, im offenen Jeep die Parade seiner strammstehenden Studenten abnimmt.

Professor Kurz ist eine geheimnisumwitterte Ausnahmefigur in der deutschen Bildungslandschaft, seine akademische Reputation jedoch gilt als bestenfalls zweifelhaft. Öffentlich benennen will diese Zweifel allerdings niemand, und auch eine Untersuchung seiner zahlreichen Doktorarbeiten verlief ergebnislos, wenn man davon absieht, dass die Plagiatsjäger spurlos verschwanden.

Wissenschaftler im Bunker

Ich wende meine Schritte dem orientalistischen Zweig des Instituts zu, der international hohes Ansehen genießen soll und malerisch in einer alten Bunkeranlage untergebracht ist, um den hochkarätigen Wissenschaftlern eine intensive und ungestörte Arbeitsatmosphäre zu bieten, wie es offiziell heißt.

Ich versuche dennoch, mit einer Gruppe ausländischer Stipendiaten ins Gespräch zu kommen, die gerade in ihren orangefarbenen Einteilern zur mündlichen Prüfung abgeführt werden, doch Dozent-Sergeant Hartmann unterbricht unsere Plauderei freundlich, aber bestimmt.

Als ich wieder zu mir komme, fehlen mir einige Zähne und ein Gutteil meines Kurzzeitgedächtnisses, allerdings kann ich einen brandneuen Doktortitel vorweisen, der erstaunlicherweise bereits in meinem Ausweis eingetragen ist. Meine Reportage ist ebenfalls bereits fertig: Einen militärischen Hintergrund kann auch ich beim besten Willen nicht erkennen, steht da.

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5 Kommentare

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  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Die USA brauchen wirklich kein militärisches knowhow von deutschen Hochschulen. Das einzige, womit sie nicht fertig werden, sind whistleblower. Da haben die Deutschen Erfahrung, im Ausfindig- und Unschädlichmachen von Verrätern.