Die Wahrheit: Black Beauty muss sterben!
Warum lieben eigentlich alle Mädchen Pferde? Das letzte selbst von der Wissenschaft verschmähte Rätsel wird wohl nie gelöst werden.
G elobt seien unsere Universitäten, denn kaum ein Rätsel kann sich dem forschenden Zugriff der dort wirkenden Gelehrten entziehen! Sie analysieren die „Zahlungsbereitschaft für gentechnisch veränderte Produkte unter Berücksichtigung der Integration psychometrischer Daten in Choice-Modelle“, bestimmen die „Politischen Strategien Ibn Sauds beim Aufbau des dritten saudischen Staates“ und durchleuchten das „Schweinetauschsystem der Enga im westlichen Hochland von Papua-Neuguinea“.
Vor dem dunkelsten aller Geheimnisse schrecken sie aber bis heute zurück – der Frage nämlich, warum Mädchen Pferde lieben. Warum nicht Schweine? Kühe? Ameisenbären? Warum nur müssen es Pferde sein?
Werfen wir einen Blick in die Geschichte: Mein bester Freund Harald und ich waren dreizehn, und Harald war verknallt in Bettina. Bettina fand das unverständlich – vielleicht sogar ein bisschen krank. Sie empfand nichts für ihn. Wie sollte sie auch? Er hatte nur zwei Beine, fraß keinen Hafer und machte kein Klackediklackgeräusch, wenn er durch eine Kopfsteinpflasterstraße lief. Denn Harald war er ein Mensch.
Bettina indes setzte sich alle naslang auf ihr Fahrrad und strampelte aus der Stadt hinaus, um auf einem Reiterhof den Apfelschimmel einer neureichen Lady zu striegeln, zu füttern und die Pferdeäppel aus seiner Box hinauszuschaffen. Zur Belohnung für die stumpfsinnige Stallmagdarbeit durfte sie alle vierzehn Tage eine halbe Stunde lang mit dem Gaul auf der Koppel im Kreis herumreiten – für einen Sonderpreis, der drei Mal Oma und Opa besuchen entsprach.
Wer will schon ein halbes Pony?
War sie doch einmal zu Hause, musste sie die fünfte Wiederholung einer wichtigen „Fury“- oder „Black Beauty“-Folge sehen oder sich um die Sortierung ihrer Pferdepostkartensammlung kümmern – einer beachtlichen Kollektion, von deren Gegenwert sie sich locker ein halbes Shetlandpony hätte kaufen können. Wer aber wollte schon ein halbes Pony? Das hätte ja auch nur zwei Beine gehabt …
Vieles hat sich seitdem verändert. Die Girls von heute wünschen sich schon zur Einschulung ein Bauchnabelpiercing, und spätestens mit zehn erklären sie sich für erwachsen und brezeln sich jeden Morgen wie ein Supermodel auf. Die närrische Pferdeliebe aber hat den Wandel der Zeiten eigenartigerweise überdauert. Noch immer radeln Mädchen beinahe täglich hinaus aufs Land, striegeln das Fell eines Zossen, bis man sich drin spiegeln kann, und quaken unaufhörlich: „Mami-i? Papi-i? Krieg ich ein Pferd?“
Ein Gutes aber hat das Gequengel, denn immerhin peinigt es auch ihre Mütter dermaßen, dass sie alle sentimentalen Erinnerungen an die eigene Jugend im Pferdestall zum Teufel wünschen. Kein Wunder also, dass selbst Bettina, wie ich neulich hörte, das Gequese ihres Töchterleins so sehr auf den Keks geht, dass sie sich alle paar Tage ein Fohlensteak mit dem Ausruf „So long, Black Beauty, jetzt trittst du vor deinen Schöpfer!“ in die Pfanne haut und es anschließend, völlig irre mit den Augen rollend, noch halb roh verschlingt.
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