Die Wahrheit: Der ewige Wert des Todes
Mit dem Tod verhält es sich wie mit Markus Lanz. Wer nicht direkt davon betroffen ist, braucht auch keinen Gedanken daran zu verschwenden.
A uf einem Fest erklärte ein guter Bekannter nach dem vierten Wein: „Ich gehe schon davon aus, dass ich mit 90 noch fit sein werde. Aber danach, danach fangen ja die Wehwehchen an!“
Nun muss man wissen, dass dieser Bekannte noch keine 40 Lenze zählt und selbst betrunken noch wirkt wie ein Rennwagen aus der Formel 1. Er trägt kein Gramm Fett am Leib und glückliche Gene spazieren, duldet neben der Effizienz keine andere Göttin und ist von einer geradezu pfeilförmigen Leistungsbereitschaft.
Aber 90 Jahre? Kann denn bis dahin nicht trotz aller Gesundheit irgendwas Dummes dazwischen kommen, und sei es auch nur ein nachlässig gesicherter Konzertflügel auf dem Weg per Flaschenzug in den vierten Stock?
Mit dem Tod verhält es sich wie mit Markus Lanz. Wer nicht direkt davon betroffen ist, braucht auch keinen Gedanken daran zu verschwenden. Werde ich alt? Wie alt werde ich?
Für solche kniffligen Fragen sind bei mir seit Jahren die zwei bis drei Sekunden reserviert, nachdem ich mich auf mein Motorrad gesetzt habe und bevor ich die Zündung einschalte. Eine kleine Übung übrigens, die hiermit auch Fahrradfahrern in der Großstadt warm ans Herz gelegt sei – sich kurz die Zwillingsreifen eines LKW vorzustellen genügt, um instinktiv einen anderen Fahrstil an den Tag zu legen.
Wozu gibt es Blinker?
Wer sich nicht ohnehin als Einzelkämpfer durchs Getümmel schlängelt, wer wenigstens symbolisch mit anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren möchte, dem wird womöglich auch schon aufgefallen sein: Autofahrer blinken nicht mehr. Nicht rechts, nicht links. Nicht vor, während oder wenigstens nach dem Abbiegen. Gar nicht mehr. Ist offenbar uncool. Wer nur auf zwei Rädern unterwegs ist, findet am Blinken der anderen rasch seinen Gefallen – ganz unideologisch, weil es praktisch die Aussicht minimiert, in Stücke gerissen oder zermalmt zu werden.
Woran liegt das? Die Leute wechseln ihre Fahrtrichtung, wie es ihnen beliebt. Warum nicht? Wir wechseln ja auch die Denkrichtung, wie es uns behagt. Was geht es die anderen Autofahrer an, ob ich nach Würzburg oder nach Hannover will? Das wird der dann schon früh genug sehen, wenn ich 300 Meter vor dem Frankfurter Kreuz das Lenkrad loslasse und mal schaue, wohin es mich und meine Blechdose zieht.
Vielleicht hat auch hier die Flexibilisierung ihre sehnigen Finger im Spiel. Spuren werden schnell mal gewechselt im Leben wie im Verkehr, da kann man nicht immer vorher einen schriftlichen Antrag stellen. Auch geht es heutzutage darum, sich beispielsweise bei der Einfahrt in einen Kreisel wie beim Handel mit Wertpapieren einfach alle Optionen offen zu halten. Wer hier den Blinker setzt, der hält auch Schwangeren die Tür auf oder lüftet mit Schwung den Herrenhut, wenn ihm Bekannte begegnen.
Hierüber kontemplierend ertappte ich mich mitten auf dem Mainspitz-Dreieck bei dem Gedanken: Irgendwo muss die Gesellschaft ein Loch haben, durch das bewährte Werte abfließen. Ein beruhigender Gedanke, denn er bedeutet: Ich werde alt.
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