Die Wahrheit: Rigoros anders liegen
Seit Kurzem gibt es einen eigenen Friedhof für verblichene Lesben in Berlin. Der Trend zum Schrebergrab in der eigenen Neigungsgruppe hält an.
I m Frühjahr 2014 haben ausgerechnet die deutschen Lesben etwas geschafft, wovon Millionen anders Lebender nur träumen können. Sie bekommen ihren eigenen Friedhof in der Berliner Fortpflanzungshochburg Prenzlauer Berg. Wo Normalsterbliche seit Jahren nicht einmal mehr wohnen können, weil die Mieten in den Himmel gewachsen sind, könnte nun der Grundstein für eine neue Bewegung gelegt werden – für den Kampf um das rigoros andere Grab.
Wir reden hier nicht nur vom Mainstream: Abstinenzler wollten noch nie neben Alkoholikern begraben werden. Veganer hassen die Vorstellung, für immer und ewig neben einem Metzger, Schweinebaron oder einer Gänsestopferin zu liegen, hilflos und ausgeliefert. Was soll das für eine Ruhe sein? Aber unser Friedhofsgesetz regelt eben nicht, neben wen gebettet Mann oder Frau sich wiederfinden. Es kommt, wie es kommt, ohne Hoffnung auf Veränderung der Lage.
Viele rigoros anders Lebende sind traurig und wütend. Zu Lebzeiten und zu Recht. Müttergräber neben Rauchergräbern? Das geht nicht. Und welcher anständige Fahrradfahrer möchte neben Rasern und Krötenplattfahrern liegen? Auch die rigoros sensiblen Kleingärtner aus Spandau sind es schon lange leid, dass sie nicht wissen, neben wem ihre letzte Parzelle angesiedelt sein wird. Pazifistische Gärtner könnten bis zum Jüngsten Gericht neben unverbesserlichen Militaristen auf den Weckruf warten.
Wie liegt es sich als verträumt nachdenklicher Bibliophiler neben dem Wisch-wasch-wusch-Smartphone-Nerd? Was ist mit brav ihre Kotbeutelchen nach Hause tragenden Hundehaltern neben Liebhabern von vagabundierenden, frei herumscheißenden Katzen? Hartz-IV-Regelsatz-Gräbchen neben ehemaligen Reihenhausbesitzern? Früh verstorbene Langzeitstudenten neben Workaholics mit sechs Ehrenämtern im Ruhestand?
Zu viele Nachbarschaften sind bisher unbedacht hingenommen worden. Für den Prenzlauer Berg könnte allerdings die neue Bewegung des Kampfes um das rigoros andere Grab schnell zu groß sein. Sollte jedoch dem Berliner Flughafen langfristig die Baugenehmigung entzogen werden, eröffnen sich hier ungeahnt repräsentative Grabfelder. Mit Rollbändern für die letzten Gruß-Gebinde. Mit ständiger, nicht abstellbarer Beleuchtung. Das größte Investitionsgrab der Republik, der definitiv andere Flughafen, könnte endlich von all jenen Berlinern in Besitz genommen werden, die für ihr eigenes rigoroses Anderssein einstehen. Bis zum Ende und darüber hinaus. Die leidige Brandschutzverordnung interessiert dann auch nur noch peripher.
Final destination: BER. Eine letzte Adresse, die sich sehen lassen kann. Auch die Nachtruhe der Anwohner wäre endlich garantiert. Tausende in Brandenburg und Berlin-Schönefeld könnten wieder aufatmen. Und endlich in Ruhe einschlafen.
Sach- und Geldspenden für die Bewegung „Letzte Ruhe Anders“ nimmt der Bundesverband deutscher Selbsthilfegruppen der rigoros anders Lebenden (BdSGraL) entgegen.
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