Die Wahrheit: Abseits
Erkenntnisse eines WM-Pathologen (10): Nach dem Spiel ist mitten im Spiel - zumindest am Sonntagmorgen auf der Straße.
D ie Welt ist im Fußballfieber. Bernd Gieseking untersucht die Pathologie des Geschehens. Der Linksfuß kennt alle Krankheitsbilder, die mit Ball zu tun haben.
Es war Sonntagmorgen. Ich wurde wach. Unter meinem Fenster, dritter Stock, spielten Kinder und stritten Eltern auf der Straße. So laut, als glitten sie vor meiner Fensterbank hin und her. Es ging um das Spiel Deutschland – Ghana.
Ein Kind rief permanent und spitz: „Abseits! Abseits! Abseits!“ Ich hörte von den Vätern „Hängende Spitze!“ und „Viererabwehrkette“ und „Falsche Neun“. „ ’Wilde 13‘, sagte Mehmet“, meinte eine Mutter verzückt. „Abseits!“ kam vom Kind. „Seit wann interessierst du dich für Fußball?“, fragte wohl der Vater ihres Kindes. „Seit Hummels und Khedira“, sagte sie trotzig. Ihr Kind rief: „Abseits!“ Das andere Kind rief: „Tor! Tor! Tor!“ „Abseits!“ „Tor!“ „Abseits!“ Tor begann zu weinen. Abseits setzte nach: „Abseits!“ „Kein Tor?“ „Abseits!“ Tor heulte.
Brasilianische Krankheitsbilder von galoppierender Extase bis zu letalem Schmerz.
„Ghana das 1:2“, sagte ein Vater. „Absolut überzeugend!“ „Und dann bringt er Schweini!“ „Und der Klose macht sein Tor!“ „Abseits!“ Der andere Vater erregt: „Das war doch kein Abseits! Im Leben nicht!“
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