Die Wahrheit: Rechtschaffener Nachbar mit Bong

Die Polizei steht vor der Tür. Und die Beamten gucken streng. Denn sie suchen den Nachbarn. Der aber öffnet die Tür nicht. Jedenfalls nicht sofort ...

„Ring, ring!“, schepperte ungeduldig die alte Türglocke und riss mich aus dem Schlaf. Mein erster Gedanke: Einbrecher. Mein zweiter Gedanke: Einbrecher klingeln nicht. Zaghaft spähte ich durch den Spion. O Schreck! Auf der anderen Seite standen zwei uniformierte Polizisten und blickten streng. Ich war eingeschüchtert und öffnete.

„Wir möchten zu Ihrem Nachbarn, aber der macht nicht auf“, sagte einer der Beamten vorwurfsvoll. „O“, antwortete ich, während meine Gedanken zurück zur letzten Woche schweiften, als ebenfalls die alte Türglocke gescheppert hatte. Da stand dort ein schlaksiger Mittdreißiger, der einen etwas zu kleinen, beigen Anzug und einen Karo-Pullunder am Leib, vier Pickel im Gesicht und schütteres Haar auf dem Kopf trug und sich mir vorstellte: „Ich bin Chlodwig, Ihr neuer Nachbar, ich bin Frührentner und kiffe gerne.“ Mehr hatte ich von Chlodwig – bis auf die zuweilen recht laute Operettenmusik – nicht mitbekommen.

„Dann wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns benachrichtigen würden, sobald Sie hören, dass Ihr Nachbar zu Hause ist“, schloss der Beamte seine Rede, und die beiden zogen ab. Kaum waren sie weg, erklang „Die ganze Welt ist himmelblau“ gut hörbar aus der Nachbarwohnung.

Ich beschloss, Chlodwig Bescheid zu sagen, dass die Polizei hinter ihm her sei. Ich klingelte, und aus der Wohnung drang ein Poltern und Rascheln sowie der Ruf: „Moment, ich muss mir was anziehen.“ Dann öffnete Chlodwig die Tür einen Spalt weit, grad groß genug, um mich verschwörerisch hineinziehen zu können und schnell wieder abzuschließen. Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte ich durch Schwaden duftenden Nebels erkennen, dass Chlodwig gerade Spaß mit einem großen Bong gehabt hatte.

Zu den Klängen von „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ erzählte ich ihm die Sache mit den Polizisten. Chlodwig konnte alles erklären: „Einmal haben sie mich in flagranti erwischt, aber dafür habe ich Bewährung bekommen. Seither bin ich sauber, ein rechtschaffener Bürger, ein harmloser Frührentner.“ Weil er als rechtschaffener Bürger und harmloser Frührentner in seinem Vorleben aber einmal gestrauchelt sei, werde er jetzt ständig von der Polizei schikaniert, angehalten und durchsucht, er werde überwacht und ausspioniert, meinte Chlodwig.

Deshalb habe er sich, als er zuletzt wieder kontrolliert werden sollte, vor der Polizistin und ihrem Kollegen einfach nackig ausgezogen und angeboten, sie könnten ihn ruhig auch da untersuchen, wo die Sonne niemals hin scheint, er habe nichts zu verbergen. Das habe ihm allerdings eine Anzeige wegen Exhibitionismus und Beamtenbeleidigung eingebracht, was seine Bewährung außer Kraft setzte. Deshalb könne er den Beamten nun nicht die Tür öffnen.

Und während ein Knödeltenor „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“ schmetterte, geleitete Chlodwig mich wieder hinaus und versprach: „Ich werde sofort bei der Polizei anrufen und denen sagen, dass sie aufhören sollen, meine Nachbarin zu belästigen“. Was für ein netter Nachbar!

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Jahrgang 1966, studierte Germanistik, Geschichte und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Neben dem Studium jobbte sie in verschiedenen Bereichen am Wolfgang Borchert Theater und war Mitarbeiterin des legendären Fanzines Luke & Trooke. Von 2000 bis 2013 war sie Wahrheit-Redakteurin. Dort schrieb sie 95,73% der Kurzgeschichten im Wetterkasten.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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