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Die WahrheitTalente unter Tränen

Der Sänger und Systemkritiker Xavier Naidoo bekommt eine neue Castingshow für Verschwörungstheoretiker aller Couleur.

Moderator der neuen Show „Truth oder Truther“: Xavier Naidoo. Bild: dpa

Herlinde Ranft aus Bad Wimpfen glaubt nicht an Chemtrails. Vielmehr hält sie Flugzeuge für Hologramme, die von der Weltregierung an den Himmel projiziert werden, um zu vertuschen, dass die Menschheit eigentlich im Inneren der Erdkugel lebt. Xavier Naidoo nickt verständnisvoll, auch wenn er von der Hohlwelttheorie nicht restlos überzeugt scheint. Auch das Publikum im Fernsehstudio reagiert verhalten, zumal die Kandidatin kaum zu verstehen ist. Die alte Dame, die zu den Gründungsmitgliedern der Thule-Gesellschaft gehören soll, hat vergessen, ihr Gebiss einzusetzen, außerdem verursacht ihr Hörgerät fiese Rückkopplungen.

Der nächste Kandidat macht seine Sache besser. Unter Tränen rappt ein junger Mann von grausamen Ritualmorden an Babys, die in Europa begangen, von den Mainstream-Medien aber totgeschwiegen würden. Naidoo fällt begeistert in den Refrain ein, hat er doch selbst schon in einem Song vor dem Massenmord gewarnt, auch wenn die Justiz trotz seiner extrem vagen Andeutungen nicht reagiert hatte.

„Aber wer ist verantwortlich, was meinen Sie?“, moderiert der Sänger die Zuschauerfrage an, bevor die Werbung gefahren wird. Wie immer können die Anrufer zwischen den Antworten „CIA“, „Feministinnen“, „Israel“, „linksgrüne Pädophile“, „Freimaurer“, „Außerirdische“ und „Der Moslem“ wählen.

Hinter den Kulissen wirkt Horst Littmann zufrieden. Er ist Produzent der neuen Show „Truth oder Truther“, in denen politische Aktivisten mit originellen Denkansätzen nicht nur das Publikum, sondern auch eine hochkarätig besetzte Jury überzeugen müssen. Neben Ken Jebsen und Eva Hermann hat Produzent Littmann den Sänger und Systemkritiker Xavier Naidoo gewinnen können. Der neue Polittalk mit Casting-Elementen, dessen Studiokulisse dem Brandenburger Tor an einem besonders tristen Montagabend nachempfunden ist, soll die zuletzt erfolglosen Gesangsshows im Fernsehen ablösen.

„Wir sind die wahre Voice of Germany“, erklärt der Fernsehmacher. „Unsere Kandidaten haben schließlich zigtausende Follower in den sozialen Netzwerken. Uns geht es nun darum, diese Talente aus dem Internet zurück ans Lagerfeuer der Gesellschaft zu holen.“

Im mitteilungsfreudigen Naidoo, der zuletzt den Reichsbürgern und Rechtsradikalen gepredigt hat, glaubt Littman den idealen Host gefunden zu haben. „Xavier steht für freche Out-of-the-Box-Denke, für eine zeitgemäße Form der Systemkritik. Und genau die wollen wir präsentieren. Nicht so verkopft wie früher, als man ganze Manifeste auswendig lernen musste, um mitreden zu können, sondern mit einem erfrischend subjektiven Blick auf die Welt. Außerdem wollen wir nicht werten: Der eine glaubt eben an das Proletariat als revolutionäres Subjekt, der andere, dass wir von Aliens ferngesteuert werden – das ist doch beides okay, solange du Fun hast und authentisch rüberkommst.“

Tatsächlich verirrt sich nun ein Systemkritiker alter Schule auf die Bühne, scheitert jedoch an der Aufgabe, in drei Minuten den historischen Materialismus zu erläutern.

Der nächste Kandidat hat Alltagstauglicheres zu bieten. Er berichtet von Gammastrahlen, mit denen die Homo-Mafia die Menschheit vom Weltall aus beschießt, um alle Männer schwul zu machen. Aus Eierbechern, Alufolie und goldenem Sprühlack hat sich der Realschüler einen Gonadenschutz gebastelt, den er im Internet vertreiben will. Dass er mit diesem Projekt nicht zu „Jugend forscht“ zugelassen wurde, wertet er als Beweis für den Einfluss der Homo-Mafia, seine ungebrochen heterosexuelle Orientierung hingegen als Beweis für die Wirkung seiner Apparatur.

Naidoo beeilt sich zu sagen, dass hier natürlich niemand diskriminiert werde, dass man aber alle Fragen ganz wertfrei stellen müsse. Als sich die Sendung aus der Werbung zurückmeldet, sind erstaunlicherweise 27 Prozent der Zuschauer der Meinung, Israel stecke hinter den Weltraumstrahlen. „Die bekommen bei jeder Frage über 20 Prozent“, winkt Littmann ab.

Zum Schluss versucht ein frühpensionierter Studienrat aus Würzburg das Publikum zu überzeugen, dass die Verträge des Westfälischen Friedens von 1648 wegen orthografischer Mängel ungültig seien. Prinzipiell befinde man sich immer noch im Dreißigjährigen Krieg, behauptet Reichsbürger Lars Dietrich, der sich überdies für die Wiedergeburt von General Tilly hält. In Stulpenstiefeln und Brustharnisch wirbt der Pädagoge für eine militärische Offensive und ruft zur Plünderung aller Ikea-Märkte im Reichsgebiet auf. Die Gelegenheit sei günstig, meint Dietrich, der Schwede wiege sich in Sicherheit.

Mit überwältigender Mehrheit wird der sympathische Rebirthing- und Völkerrechtsexperte in den Recall gewählt. „Eine positive, handlungsorientierte Botschaft mit originellem Feinbild“, lobt Talentscout Littmann. „Aus dem kann noch was werden.“ Dem Sieger der Show winkt eine sechsstellige Summe, die Eurogegnern und Reichsbürgern allerdings in Reichsmark aus der Inflationszeit ausgezahlt wird.

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9 Kommentare

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  • KATZEN-LADY und ihr andern,

     

    "gut recherchierter Journalismus" ist nicht ganz das, was ich auf der Seite "Die Wahrheit" erwarte. Also zum Mitdenken und Behalten: Satire ist nicht die vollständige Abbildung der Wirklichkeit oder ihre nüchterne sachliche Kommentierung. Das velwechsern die Leute von den Mahnwachen immer wieder. Die Überzeichnung finde ich ganz gelungen, bis zur Kenntlichkeit. Die Show braucht allerdins keiner im Fernsehen. Die ist jeden Tag in den Selbstdarstellungsvideos der Reichsbürger, Truther und ähnlicher Nasen da.

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    Kommentar gekürzt. Bitte kommentieren Sie zum Thema.

     

     

     

    Ein Freund von Xavier,

    ist die TAZ ,ganz gewiss nicht!

     

    Ich halte von Ihrem Journalistischem Können ,

    überhaupt nichts!

  • Sehr gut liebe Tazler, weiter so. Macht euch lustig über die abwegigen leute von den Montagsdemos. Gut so. Das ist sehr gut. Denn Ihr habt euch nun endgültig von dem verabschiedet, was Journalismus eben ausmacht. Hoffentlich werdet Ihr wenigstens gut bezahlt für euren schlechten Stil. Ach, immer noch Einheitslohn? Wie bitter!

    • @theo waldschrat:

      Also, ich bin da kein Experte von "Montagsdemos". Ich habe in dem Artikel da nix zu gelesen, sondern nur eine recht witzige Verknüpfung von einem grauenhaft schlechten durchgeknallten Schnulzensänger mit irgendwelchen esoterischen und verschwörungstheoretischen Spinnern.

       

      Inwiefern kommt bei Ihnen dazu eine Assoziation zu diesen Demonstranten da?

  • Ich halte die negativ Satire Berichterstattung gegenüber der Bewegung die aus den Montagsdemos herausgegangen ist für fragwürdig.

    Ich hab bisher auch vieles lächerliches und kaum überzeugende Argumentationen aus der Richtung gehört und würde auch einen Großteil der Bewegung als Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten abtun, nichtsdestotrotz finde ich es gut dass ab von den großen Medienunternehmen ohne eine Lobby Tabuthemen diskutiert werden, bisher haben sie damit ja niemanden weh getan, erhalten aber von allen Medien ein negatives Echo.

    Dadurch werden die jungs doch eh nur noch mehr verbohrter und kommunikation wird verhindert, dass sollte ja letztendlich auch nicht das Ziel sein.

    Ein ehrliches Interview ohne Satirische und reißerische Schlagzeilen mit einem Mitglied fände ich interessant.

    • @jaimie james:

      Das Problem an Leuten wie den "Reichsbürgern" ist, dass sie obwohl sie augenscheinlich niemandem wehtun, Argumentationsstrategien in Sachen Holocaust-Leugnung, Rassen-Ideologie, etc. liefern. Außerdem leiten sie Aktionen bei denen z.B. Mitbürgern mit Migrationshintergrund gefälschte Ausreise-Aufforderungen zugeschickt werden. Es wäre also ein Fehler Rechtsesotherische Populisten als harmlose Spinner abzutun.

    • @jaimie james:

      "bisher haben sie damit niemanden wehgetan"

       

      Holocaust-Leugnung tut nicht weh?

  • Lieber Gott, schmeiß Hirn vom Himmel! Erinnert mich irgendwie an "Mars Attacks". Der Mensch, die Krone der Schöpfung... ;-)

  • Herrlich zu lesen, großartig. Bitte weiter so!