Die Wahrheit: Provision für prächtige Propheten

Die Wohnungssuche muss man als spirituelle Erfahrung begreifen. Der Aufstieg zu höheren Sphären gelingt in neun sanften Schritten.

Abends nimmt der Makler gern ein Bad im Geldspeicher. Bild: Burkhard Fritsche

Der Wohnungsmarkt gilt heute als feste Säule abendländischer Spiritualität. Doch der Makler als wahrer Prophet unserer Zeit wird von Ketzern immer noch als Parasit verunglimpft. Dabei gilt es, den Maklern zu huldigen, denn sie predigen das Wort des Gottes Vermieter. Dennoch sollte man die spirituelle Reise in die Welt des Maklerismus nicht unvorbereitet antreten. Deshalb, ihr Ungläubigen, lest hier die heiligen Gebote der Wohnungssuche.

Für eine funktionierende Volkswirtschaft sind Immobilienmakler ebenso unentbehrlich wie Derivatehändler oder Klingeltonkomponisten. Vormittags ist der Immobilienmakler damit beschäftigt, unscharfe Fotos von der falschen Wohnung ins Internet zu stellen, den Nachmittag nutzt er, um nicht zurückzurufen und abends nimmt er dann gern ein Bad im Geldspeicher.

Treten Sie dem Makler gegenüber verbindlich, aber nicht devot auf. Den meisten ist der traditionelle Fußkuss unangenehm, ein einfacher Kuss auf den Ring reicht völlig aus. Schließlich ist der Makler auch nur ein Mensch, jedenfalls war er mal einer, bevor er sich in Gollum verwandelt hat.

Machen Sie sich klar, dass der Makler nicht Sie als Person aburteilt, wenn er Ihre Wünsche nach einer menschenwürdigen Behausung mit kreischendem Lachen beantwortet. Aus betriebswirtschaftlicher Position ist diese Reaktion absolut gerechtfertigt. Bleiben Sie realistisch, aber selbstsicher. Nur weil Sie zum nächsten Ersten auf der Straße stehen, heißt das nicht, dass Sie dem Makler nach dem Mund reden müssen. Vielmehr bedeutet es, dass Sie ihm alle Wünsche von den Augen ablesen.

Im günstigsten Fall tritt der Vermieter nur als Kontonummer in Erscheinung. Im ungünstigsten Fall wohnt er mit im Haus. In diesem Fall richtet er Ihre Wohnung mit ein und bestimmt über Ihre Essgewohnheiten. Dafür wechselt er womöglich irgendwann die kaputte Glühbirne im Hausflur aus. Als geeignete Geschenke für den Vermieter gelten beim Einzug übrigens Gold, Weihrauch oder die Hand der Königstochter.

Wer Kinder oder andere Haustiere halten will, muss an den Stadtrand oder in den Wald ziehen. In der Mietwohnung sind sie nicht erlaubt, weil sie an den Tapeten kratzen und aufs Parkett pinkeln. Vor allem, wenn es sich um Kinder im Teenageralter handelt, die erste Drogenerfahrungen sammeln. Geräuschempfindliche Menschen sollten den Stadtrand meiden, da er von der Baumarktindustrie als Testgelände für Gartenhäcksler und Rasenmäher genutzt wird. Ziehen Sie lieber auf eine Truppenübungsplatz, dort ist es ruhiger, außerdem gelten die Genfer Konventionen.

Die Wohnungsanzeige gehört zur Gattung der religiösen Literatur und ist deswegen keinesfalls wörtlich auszulegen. Angaben wie Quadratmeter oder Nebenkosten sind symbolhaft und sollen von Größe und Herrlichkeit des Vermieters und seines Propheten, des Immobilienmaklers, künden. Lesen Sie Wohnungsanzeigen deswegen als Verheißung, aber nehmen Sie den Quatsch nicht zu ernst.

Genauso wenig wie den Muslim wirklich 72 Jungfrauen im Paradies erwarten, genauso wenig werden Sie bei einem Besichtigungstermin tatsächlich eine großzügig geschnittene Maisonettewohnung mit großer Terrasse in bester Lage für 350 Euro kalt vorfinden, bloß weil es so niedergeschrieben steht. Es steht halt da, um Sie ein wenig vom irdischen Jammertal abzulenken. Für 350 Euro kalt landen Sie natürlich ganz unten im Keller.

Damit die sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eines Wohnorts nicht unkontrolliert aufeinanderprallen, hat man den Mietspiegel erfunden, der die Menschen nach Einkommensklassen getrennt in die verschiedenen Stadtviertel sortiert.

Während man in der Vorstadt bereits als artfremd gilt, wenn man seinen Carport nicht täglich saugt, wird man in hochglanzsanierten Innenstadtquartieren zum Nahrungseinkauf im Delikatessengeschäft gezwungen, weil Supermärkte dort als unrein und unfein gelten. Besuchen Sie zur Vorbereitung auf Ihr Leben in der schnieken Altbauwohnung mindestens ein Weinseminar.

Wenn Sie in der Lage sind, mehrere Stunden lang ununterbrochen über Ziegenrohmilchkäse zu referieren, können Sie einen Umzug in Betracht ziehen. Immerhin können Sie jetzt einer einfachen Unterhaltung an der Kasse folgen, vielleicht werden Sie sogar irgendwann bedient.

Durch geschicktes Abfragen von Lebensumständen werden im Selbstauskunftsbogen ungeeignete Mieter mit Leichen im Keller herausgefiltert. Sollte sich also beim Ausfüllen ergeben, dass irgendwo ein Stäubchen auf Ihrer Erwerbsbiografie liegt, können Sie sich genauso gut ein flottes Hütchen aus dem Papier falten. Schicken Sie den Bogen aber trotzdem ab. Es zählt der olympische Gedanke, außerdem könnte es sein, dass Sie den Makler damit derart aus dem Konzept bringen, dass er Ihnen aus Versehen eine Wohnung vermietet.

Frühes Kommen, also etwa einen Monat vor dem Termin, sichert gute Plätze. Achten Sie jedoch darauf, dass Ihr Anzug während des Campingaufenthalts vor der Wohnungstür nicht zerknittert. Eine Sitzfalte in der Hose signalisiert liederlichen Lebenswandel.

Auch wenn Sie als Rockerbande oder Selbstmordsekte eine Wohnung mieten wollen, sollten Sie sich immer als solventes, voll berufstätiges Paar vorstellen. Einen repräsentativen Kurzzeitpartner für den Besichtigungstermin wird Ihnen ein niveauvoller Escortservice vermitteln können. Greifen Sie keinesfalls auf Billigangebote in Bahnhofsnähe zurück, die meisten Vermieter schätzen es durchaus nicht, wenn sich Ihre angebliche Verlobte bei der Besichtigung des Badezimmers einen Schuss zu setzen versucht.

Gerade wenn Sie die Wohnung tatsächlich als Pärchen mieten wollen, kann sich der Einsatz von Körperdoubles lohnen. Betrachten Sie selbstkritisch Ihr Spiegelbild und fragen Sie sich ernsthaft, ob Sie diesen beiden Vogelscheuchen eine angemessene Behausung überlassen würden.

Während der Makler in einer Sänfte hereingetragen wird, beziehen die Bewerber je nach gesellschaftlichem Rang Aufstellung. Ganz vorne steht der Aufsichtsrat auf der Suche nach einem Drittwohnsitz, der die Wohnung selbstverständlich bekommen wird, dahinter gebeugten Hauptes das Akademikerpärchen mit Beamtenstatus, im Außenkreis knien einfache Angestellte, während Studenten auf WG-Suche damit beschäftigt sind, das elterliche Vermögen als Bürgschaft vor den edlen Füßen des Maklers auszustreuen.

Der Mitbewerber ist ein Leidensgenosse und in genau derselben beklagenswerten Lage wie Sie. Deswegen ist er mit Achtung und solidarischem Mitgefühl zu behandeln, während Sie ihn nach allen Regeln der Kunst fertig machen. Doch Vorsicht: Lassen Sie sich nicht vom unscheinbaren Äußeren Ihrer Mitbewerber täuschen. Drehen Sie ihnen nie den Rücken zu, und bleiben Sie stets in der Nähe des Wohnungsmaklers, auch wenn der fies nach Geld und Schwefel stinkt.

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