Die Wahrheit: XXXXXX-Tippster versus Äski-Nerds
Der hippe Geschenktipp zu Weihnachten: Selbstgetippte Bilder begeistern Schreibmaschinenfans und Freunde des vergilbten Papiers.
Weihnachten naht im Sauseschritt und damit auch das immer wiederkehrende Problem: Was schenke ich? Nicht jeder löst die Geschenkfrage so elegant wie die Untertertia des Lyzeums von Hameln, die in dunklen deutschen Zeiten dem Führer zum Geburtstag anspielungsreich ein Dutzend Mäuse und eine Ratte aus Marzipan schenkte. Die Zeit berichtet ferner von einem weiteren gewagten Geschenk: ein Bild des Führers aus Mürbeteig.
Heutzutage erleben wir eine Renaissance des selbst gemachten Geschenks. Das kostet wenig, hat den Charme des Persönlichen – und das Beste ist: Es wird nie umgetauscht. Aber was soll man basteln?
Wie so oft hilft uns dabei das Internet weiter: „Weihnachtszeit ist ASCII Bilder Zeit“ verkündet pinnwandpic.de froh und Bindestriche sparend. Radebrechend wirbt der Bilderfreund für Selbstgemachtes: „Mit diesen tollen Pinnwand Bilder lässt es sich zur Weihnachtszeit bei den Freunden und Bekannten einen hevorstechenden Eindruck auf der Pinnwand zu hinterlassen.“
Hervorstechend klingt toll, aber was zum Teufel sind ASCII-Bilder? Die Computer-Nerds unter uns werden jetzt verächtlich die Brauen hochziehen und uns gelangweilt erklären, dass ASCII (Äski gesprochen) eine 7-Bit-Zeichenkodierung eines Computers ist. Häh? Sieben was? Sieben Zwerge und das Schneebittchen?
Das klingt geheimnisvoll und soll auch so bleiben. Kurzum, die 128 Äski-Zeichen stehen für 128 Buchstaben und Satzzeichen, die Kleinbuchstaben sind die Zwerge, die Großbuchstaben die Riesen und die Satzzeichen die Orks. Alle leben zusammen in der Tastatur einer Schreibmaschine oder eines Klapprechners, und sie können märchenhafte Rätselbilder auf deinen Bildschirm zaubern.
Hauptsächlich kleine Hunde und große Schauspieler
In der Zeit, als man Briefe noch auf einer Schreibmaschine tippte, hießen solche Darstellungen „getippte Bilder“. Getippt wurden sie damals meist von Sekretärinnen oder „Tippsen“, die gern lustige Bilder aus Buchstaben aufs Blatt tippten, wenn gerade mal nichts zu tun war. Unter das Deckblatt musste man damals immer Durchschlagpapier und ein weiteres Blatt spannen, und so gab es meist nur zwei Versionen des Tippbildes, da man Geschriebenes nicht ausdrucken konnte.
Schreibmaschinen waren spätestens seit 1885 in Schreibstuben gebräuchlich, aber die ersten Schreibmaschinenbilder wurden erst in den dreißiger Jahren bekannt. Lag es daran, dass in Deutschland die ersten elektrischen Schreibmaschinen erst 1921 auf den Markt kamen? Man weiß es nicht, aber die Tippbilder waren 1931 immerhin so beliebt, dass das Magazin einen Wettbewerb für Schreibmaschinenbilder ausschrieb. Die Leser griffen jedenfalls munter in die Tasten und pixelten hauptsächlich kleine Hunde und große Schauspieler aufs Papier. Es siegte ein naturalistisch hingetipptes Frauenporträt eines Tippfreundes aus Rotterdam.
Heute muss man noch nicht einmal einen Bildpunkt selbst eintippen, heute macht das ein Konvertierungsprogramm für den bequemen Künstler. Der moderne Tipper tippt dann beispielsweise auf topster.de seine Bildvorlage ein und kann im Handumdrehn das fertig hingepixelte Bild ausdrucken. Als Geschenk eignete sich im erwartungsvollen Selbstversuch das fertige Bild allerdings nicht, die Ergebnisse waren genau so, wie Äski klingt, nämlich fade und unansehnlich.
Derjenige, der definitiv ein individuelles und sichtlich selbst gemachtes und noch richtig von Hand getipptes Bild braucht, sollte am besten auf durchscheinendes und nachgegilbtes Schreibmaschinenpapier zurückgreifen. Da stellt sich allerdings eine entscheidende Frage: Wer hat überhaupt noch eine alte Schreibmaschine mit funktionierendem Farbband? Nur so gelingt der entscheidende Schritt vom Hipster zum Tippster.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung