Die Wahrheit: Laktose-Nazi-Intoleranz
Wenn man Latte macchiato mag, aber keine laktosehaltige Milch verträgt, dann muss man kotzen – besonders über die kleinbürgerlichen Kommentare.
I ch bin intolerant, laktoseintolerant. Und ich mag Latte macchiato. Aber auf Latte macchiato mit laktosehaltiger Milch muss ich kotzen. Also trinke ich Latte macchiato mit laktosefreier Milch. Das klingt unproblematisch, der Latte schmeckt, der Magen bleibt ruhig, und doch führt das letzten Endes zum gleichen Ergebnis: zum Kotzen.
Schon beim Bestellen komme ich mir fehl am Platz vor, wie ein Muslim beim Pegida-Aufmarsch. In den Kleinbürgercafés bellt die Bedienung ein bissiges: „Lakto-was-frei? Wir haben nur Kuhmilch.“ In den Gaststuben des Proletariats blafft es nicht weniger schroff „… nur Dosenmilch“.
An Nord- und Ostsee ernte ich so viel Verständnis, als hätte ich eine Runde Crack geordert. In Bayern knurrt der Wirt in Richtung Küche: „Scho wiada so a Lakto-Saupreis“, und zu mir: „Homma net, kriagama a net.“
Es bleiben die hellblaurosa tapezierten Kaffeestuben im Neo-Biedermeier-Stil. Dort gibt’s laktosefreien Latte satt. Doch es liegen Zeitungen und Zeitschriften herum, in denen launige Glossen wortmächtig das Konsumieren laktosefreier Nahrung als Inbegriff der gentrifikatorischen Dekadenz anprangern. Der Laktoseverächter ist der neue Watschenfred des Qualitätsjournalismus und Erbe des nach Berlin eingewanderten Schwaben sowie der Helikoptermutter auf dem Prenzlauer Berg. Obwohl mir der Vorwurf des großstädtischen Öko-Snobismus mehr Ehre als Pein ist, verursacht mir diese Glossensülze doch erhebliche Magenschmerzen.
Ein Shitstorm voller Neid
Es ist dieses ewig deutsche Gezeter und Gemaule über alles, was sich von der Norm entfernt, eine tief verwurzelte Abneigung gegen alles Neue, Andersartige, Schillernde, Anmaßende, Abgehobene, das die Spießer jeder Couleur vereint. Wer in den Augen dieser Einfaltspinsel glaubt, etwas Besseres zu sein, den trifft ein Shitstorm voller Neid, Hass, Frust, Furcht und Gehässigkeit. Und wer wirklich etwas Besseres ist, den um so mehr. In diesem teutonischen Kleinbürgermief gedeiht die Laktose-Intoleranz-Intoleranz wie ein Kürbis auf dem Kompost. Zum Kotzen eben.
Hätte ich das Glück, als Auslandskorrespondent für ein liberales angloamerikanisches Magazin in Berlin arbeiten zu dürfen, würde ich den Begriff „Laktose-Nazi“ auf den Markt der Wortschöpfungen werfen. Aus Deutschland heraus werden Nazi-Vergleiche immer wie eine Verharmlosung der Nazisozialisten wirken, aus Sicht der Nazi-Bezwinger aber treffen sie oft voll ins Schwarze beziehungsweise Braune.
Aus dieser Sicht ist der Nazi nämlich größtmöglicher Schrecken und zugleich denkbar lächerlichste Figur, weil meist ein harmloser Wicht, der eine Sache allzu verbissen sieht. Aber leider muss ich mich der deutschen Anschauung bedienen. Also verkneife ich mir den Laktose-Nazi und begnüge mich damit, der Laktose-Intoleranz-Intoleranz meine Duldung zu versagen, was dann logischerweise Laktose-Intoleranz-Intoleranz-Intoleranz heißt.
So könnte ich endlos weitermachen, aber zum Glück findet diese Kolumne jetzt ganz tolerant und duldsam ihr Ende.
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