Die Wahrheit: Simkartelabim

Wieder ein Spionageskandal. Die Geheimdienste haben überraschenderweise Zugriff auf sämtliche Mobiltelefone. Und plötzlich kommt die stille Post zurück.

Bild: Hannes Richert

Dieser Schock trifft die Welt unvorbereitet. Die NSA und ihr britischer Partner haben sich beim weltweit größten SIM-Karten-Hersteller Zugang zu den Verschlüsselungskeys unserer Handys verschafft. Der Vorteil: Wenn man wieder mal seine PIN vergessen hat, weiß man, wo man schnell und unbürokratisch nachfragen kann. Der Nachteil: Seit dem Jahr 2010 können die Dienste problemlos all unsere Telefonate abhören, sämtliche SMS lesen und diese Kommunikation selbstredend auch manipulieren.

Die Empörung deswegen ist groß. Zwar hatte es in letzter Zeit Berichte gegeben, dass die Spione gelegentlich ihre Kompetenzen überschreiten. Doch niemand hätte vermutet, dass sie an unsere ganz persönlichen Smartphones gehen und damit ein jahrhundertealtes Tabu brechen. Anderer Leut Telefongespräche zu belauschen, gilt in unserer Kultur als verwerflich, wenn es nicht in der überfüllten U-Bahn oder im Wartezimmer des Hautarztes geschieht.

Zum ersten Mal seit Beginn der Enthüllungslawine aus dem Hause Snowden formiert sich deshalb offener Widerstand gegen die Umtriebe der Geheimdienste. „Wir wussten seit einer Weile, dass sie das Internet kontrollieren. Aber wer benutzt schon Internet?“, fragt Nadine Mustermann (19) zornig. „Wir wussten auch, dass sie einzelne Netzanbieter angezapft haben, zum Beispiel Vodafone, und auch das Handy der Kanzlerin. Doch jetzt wissen wir, dass sie unterschiedslos alle Mobiltelefone knacken, all unsere Gespräche belauschen können, selbst die vertraulichsten mit meiner allerbesten Freundin!“

Weil sie ihre intimsten Geheimnisse in Gefahr sehen, haben die beiden Abiturientinnen aus Bad Münstereifel eine Gruppe gegen die Telefonüberwachung gegründet. Der Gesprächskreis „Stille Post“ trifft sich jeden Tag nach der Schule in der Fußgängerzone. Striktes Prinzip der mittlerweile neun jungen Aktivistinnen ist es, die Handys zu Hause zu lassen und sich sämtliche privaten Informationen nur noch reihum direkt ins Ohr zu tuscheln.

„Vielen von uns fällt das natürlich schwer“, gibt Nadine freimütig zu. „Unsere Generation telefoniert ja praktisch rund um die Uhr. Die meisten legen ihr Smartphone selbst im Bett nicht aus der Hand, reden im Schlaf einfach immer weiter.“

Umfragen in der Jahrgangsstufe stützen diese Einschätzung: Die durchschnittliche Mobiltelefonnutzerin kommt netto auf etwa achteinhalb Stunden Gesprächszeit am Tag, weitere zwei Stunden starrt sie auf das Display und hofft, dass jemand anruft und ihr ein Geheimnis anvertraut.

Um so wütender sind Nadine und ihre Freundinnen nun. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Gerade wir jungen Leute sind durch diese Angriffe besonders verwundbar“, zürnt Nadines beste Freundin Karina. „Wissenschaftler haben herausgefunden, dass fast 70 Prozent von allem, was wir täglich zusammentelefonieren, Geheimnisse enthält. Oder wenigstens Spuren von Geheimnissen, die auf keinen Fall weitergegeben werden dürfen. Wenn die Dienste das alles mithören können, haben sie uns in der Hand. Jede einzelne von uns!“

Das Argument, dass die meisten ihrer Informationen für die Spione nicht brisant genug seien, mag Karina nicht gelten lassen. „Wir reden ja nicht nur schnöde über Schminktips, Klamotten und Komapartys, über Eltern, Arztbesuche und Drogenprobleme, sondern auch: Wer mit wem? Wo? Wann? Und in welcher Stellung!" Und Nadine fügt mit roten Ohren hinzu: "Das ist doch extrem heikel, gerade wenn Lehrer mit im Spiel sind!“

Solche persönlichen Daten, da sind sich die Mädchen einig, müssen auf jeden Fall vor dem Zugriff der Nachrichtendienste geschützt werden. „Der freie Fluss von Informationen ist für Demokratien konstitutiv, das haben wir in Sozialkunde gelernt“, sagt Karina stolz. „Es darf nicht sein, dass man irgendwas für sich behält, nur weil man Angst hat, belauscht zu werden.“

Doch selbst bei ihrer abhörsicheren Stillen Post bleibt Vorsicht unerlässlich. So musste die dicke Lisa aus dem Flüsterkreis rausgemobbt werden. In ihren Erzählungen hatte sich das einvernehmliche Schmusen einer Mitschülerin mit einem namenlosen Bio-Referendar plötzlich in eine wilde Orgie mit dem stellvertretenden Schulleiter verwandelt. Vermutlich spionierte sie für den BND oder sogar die Elternpflegschaft.

„Wir haben Lisa ordentlich in den Schwitzkasten genommen“, lacht Nadine, „und ihr klargemacht, dass alle Welt von ihrem missglückten Pettingversuch mit dem pickligen André erfährt, wenn auch nur ein Wort aus unserer Runde nach außen dringt.“

Unbescholtene Teenies

Genauso, finden Nadine und Karina, müssten die Politiker die Geheimdienste mal in den Schwitzkasten nehmen und ihnen verbieten, die Handys unbescholtener Teenies abzuhören. Für ein ermutigendes Zeichen halten die beiden es deshalb, dass sich die Ortsgruppe einer richtigen Partei nach ihrem Club erkundigt haben soll. Über Umwege erfuhren die Mädchen, dass sogar ein verdecktes Treffen in der Fußgängerzone geplant ist. Die konkrete Kontaktaufnahme scheiterte bislang freilich an den ausgeschalteten Mobiltelefonen.

„Nur soviel: Es handelt sich wohl um eine ziemlich linke Partei“, sagt Nadine nebulös. „Aber im Moment können wir jeden Verbündeten gebrauchen, gerade wenn er über effektive Desinformationstechniken verfügt und sich gut mit Stasimethoden auskennt.“

Die größte Gefahr sehen die Aktivistinnen nämlich darin, dass die Menschen sich an die ewige Überwachung sowie die unbefugte Weitergabe von vertraulichen Gerüchten gewöhnen und dadurch abgestumpft, zynisch und anfällig gegenüber Verschwörungstheorien werden. „Im Kampf gegen Pegida haben wir doch alle gemeinsam herausgestrichen, wie gut unser Staatswesen ist und wie unsinnig die Annahme, dass es geheime Instanzen gibt, die alles steuern und lenken!“ betont Karina. „Ich habe Angst, dass diese Sache dem Ruf unserer Demokratie im Ausland schadet und dass Wladimir Putin das für seine Zwecke ausnutzt.“

Auch Nadine sieht für die Zukunft schwarz, wenn jetzt nicht mehr Menschen auf die Barrikaden gehen: „Wir sind doch letztlich alle erpressbar“, seufzt sie niedergeschlagen. „Ich kann mich gleich umbringen, wenn rauskommt, was ich Karina gestern über Hanna und Liv in der Sportumkleide erzählt habe. Oder auch die Lästerei über Nicos angeblichen Riesenpenis!“

Mit Handyboykott und Gesprächskreis haben die jungen Frauen aus Bad Münstereifel diese Gefahr fürs erste gebannt. Wie lange sie diesen Kraftakt durchhalten können, steht jedoch in den Sternen. „Wir müssen stark bleiben und viele Leute von der Stillen Post überzeugen“, lächelt Nadine tapfer. „Irgendwann werden die Geheimdienste schon aufgeben! Oder die Politiker sehen endlich ein, dass sie etwas tun müssen gegen diese unsichtbaren Instanzen, die alles steuern und lenken.“ Und ihre beste Freundin Karina ergänzt flüsternd: „Dein Wort in Gottes Ohr. Denn wenn sich die Menschen das gefallen lassen, dann lassen sie sich womöglich alles gefallen.“

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