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Die WahrheitWie das Ei aus dem Ei kommt

Kolumne
von Bernd Gieseking

Für ein gelungenes bemaltes und hingehängtes Ei muss das eigentliche Ei der Schale entnommen werden.

G erade stand das Haus meiner Eltern noch voller Weihnachtskrippen. Hunderte Engel aus Holz, Gips, Porzellan und schlichte Tönerne tönten in großen Chören aus den Regalen und von den Fensterbänken. „Unser Mutter“ ist eine Sammlerin. Uns wirft sie vor, dass wir alles „hegen“. Draußen quälen sich die ersten Krokusse durch die noch winterkalte Erde und „unser Ilse“ arbeitet an der Umdekoration, denn jetzt kommt Ostern. Kätzchenzweige in der Vase und draußen Busch und Baum müssen mit Eiern beziehungsweise deren Schalen behängt werden.

Einige davon habe ich noch als Kind akribisch leer geblasen und bemalt. Es ist erstaunlich, wie lange sich Eierschale hält und wie gering dagegen die Lebenslaufzeit von, sagen wir mal, Waschmaschinen ist.

Für ein gelungenes, bemaltes, hingehängtes Ei muss das eigentliche Ei der Schale entnommen werden, denn ein noch mit Ei gefülltes Ei ist für fast jeden Zweig zu schwer. Man müsste es schon andübeln, dafür wiederum sind die Kätzchenzweige zu dünn. Ich habe das trotzdem mal, mit 13, versucht.

Das traditionelle Eierausblasen ist eine Kunst. Meine Mutter hat da noch jedes Mal die drei Männer ihrer Familie düpiert. Denn dem Mann, der sonst durch handwerkliches Geschick besticht, fehlt hier angesichts der zerbrechlichen Schale das Feingefühl.

Um das Ei auszublasen, muss man zuerst zwei Löcher hinein bringen, jeweils an den Spitzen. Seitlich macht die Schale zu instabil, ein Loch ist zu wenig. Ich hatte früher auch das probiert. Mit einem Papierlocher habe ich in jungen Jahren ebenfalls experimentiert.

Das Ei neigt zum „Rollen“

Überhaupt – von seiner Natur her neigt das Ei zum „Rollen“ und schlägt dabei Haken wie ein Hase, obwohl es eigentlich Huhn ist. Um das Ei festzuklemmen, ging ich damals zu Vaters Hobelbank. Man sollte das Ei aber nicht zu fest in den Schraubstock spannen. Mein Tipp heutzutage: Das Ei locker in der linken Hand halten, aber keine Schlagbohrmaschine benutzen. Sonst hat man nicht nur den Bohrer, sondern gleich die ganze Maschine im Ei.

Jedes Mal war es eine ziemliche Sauerei, all das Dotter und Eiweiß vom Papierlocher, von der Hobelbank, vom Schraubstock und von der Bohrmaschine zu putzen. Als Sohn eines Zimmermanns nahm ich deshalb im nächsten Jahr Hammer und Nagel und hatte schnell das gesamte Ei, Schale, Eiweiß und Dotter auf der Mahagoni-Platte festgenagelt.

Mein Freund Kalle, KFZ-Meister aus Kassel, hat die Thematik kürzlich wieder Mal auf den Punkt gebracht: „17er Schlüssel nehmen, Kopf abdrehen und Ei ausgießen.“ Und bei uns in der Familie kommen jedes Jahr immer noch ein paar Eier dazu. „Unser Ilse“ arbeitet traditionell mit Stricknadeln. Damit stochert sie oben und unten ein Loch in das Ei. Letztens kam in genau diesem Moment eine Nachbarin und sagte: „Mensch, Ilse, ich hab nur braune Eier bekommen!“ Meine Mutter hatte schon Luft geholt zum Auspusten und meinte nur: „Schonwaschgang in der Maschine bei 30 Grad. Danach die Eier einfach abtropfen lassen. Auf keinen Fall schleudern.“

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