■ „Europas erstes Insektenessen“ in München: Die Vorherrschaft des Mehlwurms
München (taz) – Vorspeise: Grashüpfer und Mehlwürmer in Delikateßaspik. Hauptspeise: Insektenravioli an Larven-Tomatensoße und Austernpilzstreifen; Insektenpaella. Dessert: Mehlwurmkuchen, Heuschrecken in Schokolade sowie „delikate Bewohner des Bienenstocks“. Was da in Münchens Restaurant „Scheck-Alm“ gereicht wurde, war keine PR-Aktion des Nobel-Feinkost-Etablissements „Käfer“, sondern „Europas erstes Insektenessen“ und durchaus ernst gemeint. Bruno Comby, jungscher französischer Tausendsassa der Sparte „Gesünder leben“, lud gemeinsam mit der Zeitschrift Gastronomiereport und dem Eichborn Verlag, der sein Buch „Köstliche Insekten“ vertreibt, zu gepflegter Entomophagie (Insektenfresserei) im Dienste der Welternährung.
Insekten sind nahrhafter, bekömmlicher, gesünder, ökologischer und billiger als alle anderen Nahrungsmittel. Sie haben einen Proteingehalt, von dem Steaks nur träumen können; ihr Nährstoffgehalt – Aminosäuren, Mineralstoffe, Vitamine – macht sie zu hochwertiger Kost für unser Verdauungssystem. Das nämlich funktioniert, wie Comby feststellt, noch immer so wie das unserer Vettern, der Affen, und die haben klugerweise den Sprung vom Heuschreck zum Big Mac nie vollzogen. Wirklich zukunftsweisend ist die allgemeine Verfügbarkeit: Insekten bilden die weitaus reichste Quelle tierischer Proteine der Welt. Um 1 kg tierisches Eiweiß zu erhalten, muß man bei üblicher Tierhaltung 8 kg pflanzliches (und hochwertiges) Protein verfüttern. Heuschrecken brauchen dafür nur 3 kg und fressen so ziemlich alles, was ihnen vor ihre Mundwerkzeuge kommt. Welch ein Irrsinn also, die riesigen Heuschreckenheere mit giftigsten Pestiziden auszurotten, anstatt sie mit der Bratpfanne einzufangen!
Soweit die Theorie. In der „Scheck-Alm“ ging es zur Praxis. Nach Comby, der ohnehin Rohkostfanatiker ist, entfaltet sich der wunderbare Geschmack des Krabbelzeugs vor allem nature und noch lebend. Gar nicht dumm, der Ansatz, die Ekelschwelle sozusagen von hintenher zu überwinden. So stolzierten Comby und Willy Faber, der Herausgeber des Reports, fröhlich herum und naschten unablässig aus einem Plastikschächtelchen mit sich fröhlich kringelnden Mehlwürmern. „Bei mir steht jetzt immer ein Kilo davon als Snack im Büro“, verkündete Faber und schmatzte. Comby seinerseits schmiß jedem, der nicht protestierte, als Aperitifergänzung einen der Würmer ins Weinglas. Da waren dann die frittierten oder sonstwie gegarten Variationen für unsereinen gewissermaßen ein Honigbienenschlecken. Crunchy ist crunchy, dachte man sich mutig, und siehe da: Ob nun ein Shrimp oder ein gebratener Grashüpfer auf der Paella aufsitzt, es ist von der Konsistenz her (und viel mehr ist da nicht) wirklich dasselbe in Grün. Und in leckerer Schokolade ist ein Heuschreck ein vollwertiger Krokantersatz. Abgesehen von seinem Credo „Roh macht froh“ lassen sich Combys Kochrezepte auf die einfache Formel bringen: Ersetze Fleisch, Fisch, Shrimps etc. einfach durch Insekten.
Gastronomisch war an der Veranstaltung die Vorherrschaft des Mehlwurms zu bemängeln. In fast allen Gerichten steckten sie brav gebraten irgendwo dazwischen, außen knusprig, innen weich, doch irgendwie langweilig. Vielleicht aber war es bewußte Regie auf dem Weg zum ungegarten Naturerlebnis? Um 22.10 Uhr griff der Berichterstatter beherzt in das Würmerkrabbelkistchen. Ein leichtes Zerdrücken am Gaumen – und zarter Schmelz füllte den Mund. Ein kleiner Schritt für die Zunge, aber ein großer Schritt für die Menschheit. Thomas Pampuch
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