Die Unmöglichkeit eines Olympia-Boykotts: Es geht ums Geschäft
IOC und Fifa sind längst Großkonzerne. Und während die Politik die Wünsche der großen Verbände erfüllt, verbitten sich die Sportfunktionäre jede Einmischung.
64 Länder, darunter alle islamischen und viele westliche Länder, boykottierten 1980 wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan die Spiele in Moskau. 1984 revanchierten sich 14 Ostblockstaaten und blieben den Spielen in Los Angeles fern. Doch das waren nicht einzigen Sportereignisse, bei denen sich die Frage eines Boykotts stellte - oder hätte stellen können. Olympia 1936 in Berlin: Das IOC lässt sich von der Reichsregierung versichern, dass sie die "Olympische Idee" einhält, und verzichtet auf eine Verlegung. Im Ausland bilden sich Initiativen für einen Boykott, an denen sich viele exilierte deutsche Intellektuelle beteiligen. In den USA kann Avery Brundage, Chef des Olympiakomitees, nur mit Tricks ein knappes Votum gegen einen Boykott erreichen. Derselbe Brundage, inzwischen Präsident des IOC, sagt 1972 in München nach dem Anschlag palästinensischer Terroristen auf israelische Sportler den berühmten Satz: "The games must gon on!" Olympia 1956 in Melbourne: Spanien, die Niederlande und die Schweiz nehmen wegen der sowjetischen Intervention in Ungarn nicht teil. Der Libanon, der Irak und Ägypten fehlen aus Protest gegen den Suezkrieg. China kommt nicht, weil Taiwan zugelassen wird. Olympia 1968 in Mexiko-Stadt: Zehn Tage vor Beginn der Spiele lässt die Regierung 500 streikende Studenten an der Universität von Mexiko niedermetzeln. Einen Boykott fordert niemand. Olympia 1976 in Montreal: 22 afrikanische Staaten boykottieren die Spiele, weil das IOC Neuseeland nicht ausschließt. Neuseeländische Rugbyspieler hatten in Südafrika gespielt, das wegen der Apartheid mit einem internationalen Bann belegt ist. WM 1978 in Argentinien: Vergeblich kämpfen Linke und Christen im Ausland für einen Boykott der Militärdiktatur, die zwischen 1976 und 1983 30.000 Menschen ermordet. Olympia 1988 in Seoul: Nordkorea boykottiert, weil es nicht als Co-Gastgeber zugelassen wird. Kuba, Nicaragua und Äthiopien schließen sich an.
Neulich hat sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Zigarette noch einmal daran erinnert, wie es dazu kam, dass die Bundesrepublik Deutschland die Olympischen Spiele 1980 in Moskau boykottierte. US-Präsident Jimmy Carter habe ihn angerufen und gesagt, die Amerikaner würden nicht nach Moskau fahren und "wir sollten das auch nicht machen". Schmidt, der nach eigenem Bekunden kurz zuvor noch den Sportverbänden mitgeteilt hatte, dass nichts für einen Boykott spreche, gab die neue Weisung weiter. Der Boykott wurde beschlossen. Die Sportverbände führten aus, was die Politik vorgab. Westdeutsche Sportler mussten den Spielen fernbleiben. Ganz einfach war das 1980.
Fragt man verantwortliche Politiker heutzutage, wie sie es mit einem Olympiaboykott halten, machen sich die Gefragten ganz klein. Die Politik habe das gar nicht zu entscheiden, sagte am Mittwoch Christoph Bergner, der für Sport zuständige parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Nicht, dass sein Ministerium wegen der Unruhen in Tibet und der chinesischen Reaktion darauf einen Boykott befürworten würde. Aber man will sich nicht einmal in diese Entscheidung einmischen: Der Sport sei autonom, der Staat könne bei einer derartigen Frage gar nicht mitreden, meinte Bergner im Sportausschuss des Deutschen Bundestags. Die Politik duckt sich - der Sport kann fast alles machen, was er will.
In der Tat hat sich der internationale Sport, allen voran das Internationale Olympische Komitee (IOC), seit den Moskauer Boykottspielen enorm gewandelt. 1980 war das IOC ein schwächelnder Altherrenklub, in dem viel vom Frieden auf der Welt die Rede war, von der Kraft gesunder Körper und der Liebe zum Sport. Profisport war verpönt. Es wurde dem Amateurstatus gehuldigt. Und beinahe amateurhaft wurden auch die Geschäfte des Komitees geführt.
1980, als der vormalige spanische Diplomat Juan Antonio Samaranch in Moskau zum Präsidenten gewählt wurde, stand das IOC kurz vor dem Bankrott. Mehr als ein Anlagevermögen von 2 Millionen US-Dollar war der Organisation nicht geblieben, und auch das schien gefährdet. Die Außendarstellung des IOC war erbärmlich. Es war leicht, politische Konflikte auf dem schwachen Rücken der olympischen Bewegung auszutragen. Die Politik hatte Macht über den Sport und nutzte diese Macht.
Heute ist das IOC ein überaus erfolgreich wirtschaftender Privatkonzern. Bei den letzten Olympischen Sommerspielen in Athen erwirtschaftete es Einnahmen von 4,1 Milliarden Dollar. Für die Spiele in Peking hat das IOC allein für die Übertragungsrechte im Fernsehen 1,74 Milliarden Dollar kassiert. Die zwölf Hauptsponsoren, darunter Coca-Cola, Samsung, Visa und der chinesische Hardwareproduzent Lenovo, spülen weitere 866 Millionen Dollar in die Kasse.
Längst geht es nicht mehr allein um das Veranstalten eines großen Sportfestes, es geht ums Geschäft. Und die Interessen der Sponsoren haben Vorrang vor allem anderen. Als es beispielsweise darum ging, den Austragungsort für die Jubiläumsspiele 1996 zu vergeben, entschied sich das IOC nicht für Athen, wo 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit stattgefunden hatten, sondern für Atlanta - jene Stadt im Süden der USA, wo Coca-Cola seine Zentrale hat. Das Wort von den "Coca-Cola-Spielen" machte die Runde. Die IOC-Oberen zuckten darüber nur mit den Schultern und organisieren weiter ihre Geschäfte, zum letzten Mal im Winter 2006 bei den "Fiat-Spielen" in Turin.
Die Olympia-Funktionäre werden hofiert, wo immer sie hinkommen. Die Bewerbungskampagnen der Städte, die sich um die Ausrichtung der Spiele bewerben, umschmeicheln die Entscheider vom IOC nicht selten mit Geldscheinen und einer luxuriösen Rundumversorgung während ihrer Besuche. Das Bewerbungskomitee von Salt Lake City hat etliche IOC-Mitglieder geschmiert. Als Gegenleistung erwartete man ein positives Votum der Funktionäre. Es funktionierte. Salt Lake City erhielt den Zuschlag für die Winterspiele 2002. Als der Skandal aufflog, war kurz von einer Krise des IOC die Rede. Dort ergriff man zwar einige halbherzige Maßnahmen und suspendierte sechs Mitglieder. Doch so richtig bange musste es den Funktionären nicht werden.
Für die Bewerbungskampagnen möglicher Olympiastädte treiben die Organisatoren Millionensummen auf - Sponsorengelder, aber auch Steuergelder. Politiker schwadronieren von der Bedeutung der olympischen Idee, betreiben damit aber nichts anderes als Standortpolitik. Sie geben Geld aus, damit sich ein internationaler Großkonzern für die Zeit der Wettkämpfe in ihrem Land oder in ihrer Stadt niederlässt. Auch sie denken an den ökonomischen Nutzen, den die Spiele bringen.
Um den wichtigen Herren im IOC zu gefallen, werden sogar eigens Gesetze verabschiedet. Als sich Leipzig aufmachte, Bewerberstadt für die Sommerspiele 2012 zu werden, beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die Verwendung der Olympischen Ringe und des Begriffs Olympia unter einen besonderen Markenschutz stellte.
Das sogenannte Olympiagesetz ist kein Einzelfall. Die Politik kuscht regelmäßig vor den mächtigen Sportorganisationen. Als der Weltfußballverband Fifa 1999 die hohen Steuern bemängelte, die bei der WM 2006 in Deutschland fällig gewesen wären, wurde prompt ein Steuererlass gewährt. Sponsoreneinnahmen und TV-Gelder flossen steuerfrei an den Fußballverband.
Inzwischen lässt sich der Staat regelrecht erpressen. Jahrelang war kein deutsches Stadion von der Europäischen Fußballunion (UEFA) für ein Endspiel eines Europapokal-Wettbewerbs ausgewählt worden. Darüber müsse man sich nicht wundern, hieß es bei der UEFA, dem Deutschen Fußball-Bund und den Stadionbetreibern. Kaum beschloss der Bundestag vor ein paar Wochen eine Regelung zur Steuerbefreiung, erhielt Hamburg Ende März den Zuschlag für das UEFA-Cup-Finale 2010.
Während die Politik regelmäßig den Wünschen der großen Sportorganisationen nachkommt, verbitten sie sich jede Einmischung staatlicher Stellen in die Autonomie des Sports. Die Fifa droht jedem Verband mit dem Ausschluss, der sich von der Politik ins Alltagsgeschäft hineinreden lässt. Als der spanische Sportrat Mitte Februar beschloss, dass alle Sportverbände, die sich nicht für Olympia qualifiziert haben, eine neue Führung wählen sollen, was auch den Fußballpräsidenten Ángel María Villar betroffen hätte, meldete sich flugs Fifa-Präsident Sepp Blatter aus Zürich und drohte dem Verband mit einem Ausschluss von der bevorstehenden Europameisterschaft. Damit ja niemand auf die Idee käme, dies für eine leere Drohung zu halten, fügte er hinzu: "Wir sind mächtiger als die UNO."
Das Hohelied auf die Autonomie des Sports wird längst auch von der Politik angestimmt. Flehend schaut man auf die Fifa und das IOC und hofft auf das Wohlwollen, darauf, dass die Hohepriester des Sports Segnungen verteilen und dereinst Wettbewerbe in ihrem Land ausrichten mögen. Staatssekretär Bergner und andere Politiker tun so, als hätten sie in der Frage eines Boykotts keine Einflussmöglichkeiten.
Dabei ist ein Großteil des Leistungssports von der staatlichen Förderung abhängig. Allein in Deutschland kassiert der Leistungssport in diesem Jahr 180 Millionen Euro Steuergelder. Doch dieses potenzielle Druckmittel wird nicht eingesetzt, weil es sich niemand mit dem IOC verderben will. Mit München will sich Deutschland um die Winterspiele 2018 bewerben. Da braucht es einen "nationalen Schulterschluss von Sport, Politik und Wirtschaft", sagt der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Es geht um die zeitweise Ansiedlung eines Konzerns. Es geht ums Geschäft. Ein Olympiaboykott wäre geschäftsschädigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“