Die Türkei vor der Wahl: Heftiger Gegenwind für die AKP
Erdogan hat der Kandidatenliste für die Parlamentswahl im Juni seinen Stempel aufgedrückt. Doch er könnte die absolute Mehrheit verlieren.
ISTANBUL taz | „Das Risiko ist hoch, aber der mögliche Erfolg ist es wert.“ Saruhan Oluc ist der Spitzenkandidat der prokurdischen Partei HDP in der türkischen Touristenmetropole Antalya für die Parlamentswahl im Juni dieses Jahres. Im Gespräch rechtfertigt er die Strategie der HDP, die bei diesen Wahlen, anders als bei allen vorangegangenen Urnengängen, als Partei und nicht mehr mit unabhängigen Kandidaten antreten will.
Die HDP riskiert damit, an der undemokratisch hohen Zehnprozenthürde für einem Einzug ins Parlament zu scheitern. Andererseits würde sie bei einem Erfolg die politische Landkarte der Türkei verändern.
Seit am Dienstag die Anmeldefrist für alle Parteien, die an der Wahl teilnehmen wollen, abgelaufen ist, wird über nichts so leidenschaftlich diskutiert, wie über die Rolle der Kurden. Denn die Kurden könnten zum Zünglein an der Waage werden, wenn es darum geht, ob es Präsident Recep Tayyip Erdogan gelingt, den Traum seines Lebens zu realisieren und das politische System der Türkei von einer Parlamentsdemokratie hin zu einer autoritären Präsidialdemokratie zu verändern.
Dafür müsste Erdogans AKP bei den Wahlen allerdings so gut abschneiden, dass die Partei genug Abgeordnete ins Parlament schicken kann, um eine verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen. Und das kann sie nur schaffen, wenn die HDP nicht ins Parlament kommt.
Bislang hat die AKP seit ihrem ersten Wahlsieg 2002 in drei aufeinanderfolgenden Wahlen immer eine absolute Mehrheit erreicht, die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung jedoch verfehlt.
Erdogans autoritäres Gehabe nervt viele Wähler
Die soll jetzt Ministerpräsident und Parteichef Ahmet Davutoglu liefern, da Erdogan als Präsident die Partei formal nicht mehr führen darf. Doch die Vorzeichen für einen neuen, überwältigen Wahlsieg der AKP stehen schlecht. Das autoritäre Gehabe Erdogans, der Davutoglu immer wieder ins Handwerk pfuscht, nervt zunehmend mehr Wähler und sorgt parteiintern für Konflikte. Deshalb schauten die türkischen Medien aufmerksam darauf, ob es Davutoglu gelingen würde, die endgültige Liste der Parlamentskandidaten der AKP aufzustellen, oder ob er Erdogan die letztendliche Entscheidung, wer für die AKP kandidieren darf, überlassen musste.
Offiziell wird die Öffentlichkeit darüber im Unklaren gelassen – alle hohen AKP Funktionäre mussten sich zum Stillschweigen verpflichten – aber die Namen auf der jetzt veröffentlichten Liste sprechen für sich. Alle engen Berater Erdogans samt seinem Schwiegersohn sind vertreten und das sicher nicht, weil Davutoglu es so wollte. Loyalität zum Präsidenten scheint das wichtigste Auswahlkriterium gewesen zu sein. Damit hat Erdogan klar gemacht, dass er auch künftig das letzte Wort in der AKP haben wird – ein klarer Bruch der Verfassung und eine möglicherweise wahlentscheidende Schwächung von Davutoglu.
Die kurdische HDP macht sich Hoffnungen
Denn nach den letzten Umfragen verliert die AKP im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2011 bis zu zehn Prozent der Stimmen. Das liegt auch daran, dass sich die Opposition vor diesen Wahlen in einem besseren Zustand präsentiert als vor vier Jahren. Die sozialdemokratisch-kemalistische CHP hat sich modernisiert und für türkische Verhältnisse erstaunlich viele Frauen auf die vorderen Ränge ihrer Wahllisten platziert. In Istanbul, Izmir und Ankara besetzen Frauen die Spitzenplätze. Den Nationalisten von der MHP ist es dagegen gelungen, einige prominente Namen für sich zu gewinnen, mit denen sie der AKP Stimmen abnehmen will.
Am motiviertesten aber sind die WahlkämferInnen der HDP. Wenn die kurdische HDP es schaffen sollte, am 7. Juni die Zehnprozenthürde zu nehmen und als vierte Partei neben der AKP, der CHP und den Nationalisten der MHP ins Parlament einzuziehen, kann Erdogan nicht nur die verfassungsändernde Mehrheit abschreiben. Dann wäre selbst die Alleinregierung der AKP gefährdet. Falls die AKP nach nunmehr 13 Jahren Alleinregierung ab Juni einen Koalitionspartner braucht, werden die Karten in der Türkei völlig neu gemischt.
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