"Die Türen" mit neuem Album: Patchwork, Krautrock, Autopilot

Das neue Album der Band "Die Türen" ist ein Gesamtkunstwerk. Schon der Titel "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ" verspricht alles, nur keine Kategorisierung.

Die Türen lesen auch Zeitung. Sänger Maurice Summen ist übrigens der mit der taz. Bild: Promo

Sind Die Türen jetzt komplett Banane? Oder zitieren sie nur Andy Warhols Banane, die durch ihre Abbildung auf dem Debütalbum von Velvet Underground zum Pop-Markenzeichen wurde?

Auf jeden Fall nimmt die Band aus Berlin nicht nur mit einem Bananensticker ihr Pop-Branding so ernst, dass sie es bis zur Schmerzgrenze ausreizt. Mitunter wird es dann auch richtig anstrengend, wenn Türen-Sänger Maurice Summen zu seinen MC-Escher-Treppen-artigen Wortspielen anhebt, die sich aus bereits Bekanntem speisen.

"Wissen ist / Macht kaputt was euch kaputtmacht", heißt es da. "Information" reimt er auf "Konfirmation", geht über den "Tellerwäscherrand" zum "Millionär" und lässt den "Hopfen" als Letztes sterben. Summens Sprache ist auf Autopilot geschaltet, ist immer auch Ausdruck von Larmoyanz, mit der es sich leichter überleben lässt. Trotzdem ist das neue Türen-Album ein Gesamtkunstwerk. Das beginnt schon beim Titel, der das Alphabet durchdekliniert.

Großbaustelle aus Bezügen

"ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ" verspricht alles, nur keine Kategorisierung im Sinne "Von A bis Z". Die Türen inszenieren sich als Großbaustelle aus Bezügen, Entlehnungen und Abschweifungen, mit gelegentlichen Entgleisungen. "Ein Zeichensalatbuffet", um in den Worten der Band zu bleiben, die dazu entfesselt, aber en point jammt. Das Albumcover, ganz in Weiß gehalten, wie bei den Beatles und ihrem Triumphzug "White Album": eine leere Litfaßsäule, die die Konsumenten verschönern können.

Bei so viel Interaktion braucht es eine Bedienungsanleitung, ein dem Album beigelegtes Handbuch, "Hausmeister der Schöpfung" betitelt, inklusive Einfluss-Diagramm: Hier werden Querverbindungen zwischen Schmidts sozialliberaler Koalition, der Bundesagentur für Arbeit und Zeit-Abonnenten gezogen. Dazu gibt es einen Leitartikel, der Foucault zitiert und Simon Reynolds, plus die Songtexte und ein Stickerset; natürlich mit allen Buchstaben des Alphabets und – von der rausgestreckten Rolling-Stones-Zunge bis zum Justice-Christen-Kreuz – mit unzähligen Band-Symbolen.

All das hat Geld gekostet, das die Band gar nicht besitzt. Und so hat sie "Buchstabenpaten" gesucht, die sich an der Finanzierung beteiligen.

Die schöne neue Welt der Cloud

Erinnern diese Beigaben an ein Warensortiment zwischen Überraschungsei und Yps-Gimmick, ist der Gestus hinter "A … Z" eine Bezugnahme auf die schöne neue Welt der Cloud und ihrer Vergesellschaftung der Privatsphäre. Alles wird mit allen "Friends" geteilt. Kennertum anstelle von Besitz oder zumindest die Behauptung, dass Kennertum an die Stelle von Besitz gerückt sei.

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"Böse Menschen kaufen keine Lieder / Sie laden nur darnieder", heißt es in dem Song "Pop ist tot", der wiederum eine Ode an die Freude ist, weil die Türen damit das Gegenteil beweisen. Ihr Pop ist quicklebendig, obwohl er im virtuellen Raum als Ideenseminar stattfindet und mehr denn je auf Echtzeit-Transaktionen und exakt getimtes Sloganeering angewiesen ist.

Wo kein Hype ohne Facebook-Daumen und Ablenkungsmanöver vonstattengeht: Wer X hört, mag auch Y. Die Türen weisen somit auf den Umstand hin, dass Pop im digitalen Zeitalter mehr Aufmerksamkeit verschlingt, als man eigentlich dafür übrig hat. Die Entwertung der Pop-Produkte zum Snack an der Supermarktkasse.

Zeit und Zeitmangel als Leitmotiv

Diesen roten Faden nehmen die Türen auf und bringen ihn auf wunderbare Weise zum Reißen: Seit ihrem letzten Album "Popo" (2008) haben sie sich alle Zeit der Welt gelassen. Nur um Zeit und ihren Mangel zum Leitmotiv ihres neuen Albums zu machen. Den Angriff auf die übrige Zeit parieren die Türen mit dem zwölfminütigen Auftaktsong "Rentner und Studenten".

"Alle unsere Lebensbereiche sind auf merkwürdige Weise durchprofessionalisiert und -rationalisiert", erklärt Türen-Sänger Maurice Summen. "Selbst der Freundeskreis ist zum unendlichen sozialen Netzwerk geworden. Demgegenüber spüren wir unsere Endlichkeit am eigenen Leib. Das Versprechen des Generationenvertrages kann von uns nicht mehr eingehalten werden. Wir haben die Renten schon als Slackerstudenten verprasst." Ein Auftakt, sicher nicht zum Jubel von Radiosendern und Internetplattformen, die ganz schnell am besten kurze Songs benötigen.

Hooklines und Haltung

Diesem Dilemma begegnet die Band wiederum mit dem Song "Aus der Mitte entspringt ein Hit", und sie singen nicht nur darüber, die Türen bewahren Hooklines und Haltung, sie wollen es den Hörern nur nicht zu einfach machen.

Eben: So ungeordnet wie Produktbranding und Covergestaltung, soziale Basis und theoretischer Überbau klingen die neuen Songs der Türen gar nicht. Die Musik wirkt kohärent. Nimmt Bezug auf Klaus Dingers drogengeschwängerte Krautrock-Vision und gemeindet die retro Artschool-Rock-'n'-Roll-Eleganz von Roxy Music ein.

Für das neue Album haben sich die Türen personell erweitert um den renommierten, bald 50-jährigen Schlagzeuger Chris Imler und den Ja-Panik-Gitarristen Andreas Spechtl, 28. Zwei Musiker, die schon durch ihr je unterschiedliches Alter die Bandbreite der Band erweitern. Dazu kommen Chor, Streicher, Saxofone, ein Fleckenteppich aus Klängen.

Die Türen wissen mit ihrem Gerätepark auch etwas anzufangen. Statt der Band als Freundschaftsbande arbeitet nun eine Patchworkfamilie mit genau festgelegten Aufgabengebieten. Und mit viel punch. Das ist auch ein Bruch mit der Türen-Vergangenheit als zu spät nach Hipster-Berlin gezogene Elektro-Pop-Schrammler der Nullerjahre. Mit ihrem neuen Album sind die Türen endlich in der Hauptstadt angekommen.

Die Türen: "ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ" (Staatsakt/Rough Trade)

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