Die Tour de France rollt nach Italien: Begrenzte Begeisterung
Im extra für die Rundfahrt aufgehübschten Piemont hatte man dummerweise auf den gedopten Riccardo Ricco gesetzt. Nun fehlt die Motivation.
Es hatte ein Festtag werden sollen, dieser Sonntag bei der Tour, als das Peloton von den französischen Seealpen hinüber in das Piemont rollte, um dann nach einem dramatischen Kampf um den Etappensieg und um das Gelbe Trikot vor der erhabenen Bergkulisse von Prato Nervoso auf 1.500 Meter Höhe anzukommen. Alles war gerichtet für die italienischen Kletterer, für Leonardo Piepoli und vor allem für Riccardo Ricco, den jungen Superstar des italienischen Radsports, der laut Marco Pestonesi von der Zeitung Gazzetta dello Sport für die Tifosi "die Hoffnung auf die Neugeburt des Ciclismo" verkörpert hatte.
Doch stattdessen war die Stimmung eher gedämpft an den Straßen zwischen Pontechianale, Cuneo und Frabosa Sottana. Sicher, Italien ist zwar noch immer Radsportland genug, um tausende Enthusiasten an die Strecke zu locken, wenn das größte Rennen der Welt vorbeikommt. Doch die Massen am Schlussanstieg standen weit weniger dicht gedrängt, als man das erwarten durfte, die Stimmung war deutlicher leiser, als sie das gewesen wäre, wenn Ricco hier in seiner mitreißend kämpferischen Art um den Sieg gespurtet wäre.
Ein paar Unbeirrbare hatten "Ricky, wir glauben an dich" auf die Straße geschrieben, die meisten hatten es jedoch vorgezogen, stillzuhalten oder gleich ganz zu Hause zu bleiben. Der positive Dopingtest von Riccardo Ricco, dem rebellischen Popstar des italienischen Radsports, sowie der Ausschluss seiner Mannschaft war ein schwerer Schock für die Tifosi. "Das war genauso schlimm für Italien wie 1999, als man Marco Pantani im rosa Trikot während des Giro aus dem Rennen nahm und weit schlimmer als die Aufregung um Ivan Basso", sagt Marco Pestonesi. "Die Leute haben Ricco geliebt."
Entsprechend verbittert waren dann auch die Reaktionen in der italienischen Presse. "Porca miseria Ricco" titelte die Gazzetta dello Sport in großen Lettern und überschrieb den Kommentar daneben mit "Hochverrat!". Der Corriere della Sera spielte bissig darauf an, dass Ricco stets Marco Pantani als sein Vorbild genannt hatte, als er schrieb: "Er ist tatsächlich der neue Pirat. Aber leider hat er von Pantani nur die üblen Machenschaften gelernt, die den Radsport zerstören." Auf den Selbstmord Pantanis von 2004 anspielend fuhr der Corriere fort: "Der Tod von Panani war leider sinnlos." Ricco habe offenbar aus der Tragödie nichts gelernt. Und auch La Stampa zog den Vergleich mit dem letzten gefallenen italienischen Radheros: "Ja, er ist wie Pantani - 50 Kilo Fleisch, Knochen und Dopingmittel. Eine ekelerregende Replik."
Der so von seinen Anhängern Geschmähte gab sich derweil - wie sein Vorbild bis zu dessen Lebensende - trotzig. "Man hat bei mir nichts gefunden, nur Vitamine", sagte er, nachdem er am Samstag aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und an der italienischen Grenze von französischen Beamten seiner Mutter und seiner Freundin übergeben wurde. Ricco beklagte sich gegenüber dem italienischen Fernsehen über die Zumutung seiner Verwahrung - "es war wie im Gefängnis" - und kündigte an, er "werde stärker zurückkommen als je zuvor." Von Reue und Einsicht keine Spur - eine leider allzu vertraute Reaktion unter überführten Radprofis.
Das ganze Ausmaß des Schadens, den Ricco sowie die übrigen Dopingfälle bei der Tour dem italienischen Radsport zugefügt haben, ist indes wohl noch nicht abzusehen. Gewiss ist allerdings schon jetzt, dass es bei dem vermasselten Festwochenende in den italienischen Bergen nicht bleiben wird. So hat der Sponsor von Riccos Team Saunier Duval angekündigt, sich aus dem Radsport zurückzuziehen. Neben Ricco war sein Mannschaftskamerad Leonardo Piepoli, der Sieger der Pyrenäenetappe nach Hautacam, unter Verdacht geraten, nachdem Teammanager Mauro Gianetti ihn am Freitag vorsorglich entlassen hatte.
Auch das italienische Team Barloworld will seinen Betrieb einstellen, nachdem der spanische Fahrer der Mannschaft Moises Duenas Nevado mit einem positiven Epotest bei der Tour auffiel und die nach Verletzungen zusätzlich stark dezimierte Mannschaft vor den Alpen die Segel strich. Die große Radsportnation Italien liegt am Boden - ausgerechnet wenn die Tour ins Land kommt.
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