Die Suche nach Wärme in kalter Zeit: Kaiser, Karl und Kai
Wie entkommt man dem ganzen Strudel aus schlimmen Nachrichten? Vielleicht mit einer guten Dosis Nostalgie, oder einer Liebesgeschichte.
E s soll Leute geben, die auch nach einer Woche Beckenbauer-Trauer nicht verstehen können, warum so ein Bohei um einen ehemaligen, noch dazu in Sachen Korruption nicht ganz hasenreinen Fußballer gemacht wird. Wenn die Kunstbanausen jung sind, okay. Aber wenn sie fragen, weshalb sogar die sonst jeder Monarchie abholde taz einem sogenannten Kaiser einen Titel und zwei Seiten gewidmet hat, obwohl wir heute doch ganz andere, viel wichtigere Sorgen haben, dann kann ich nur sagen: Ja, eben drum!
Es ist natürlich die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die es nie gegeben hat, weder im Fußball noch im unbedeutenden Rest des Lebens, in der viele gerade wieder schwelgen, um sich von der niederschmetternden Gegenwart abzulenken, in der man kühler sein muss als die Temperaturen, um die Lage nicht als bedrohlich zu empfinden.
Wenn Politiker der AfD und ihre rechtsextremen Helfershelfer euphemistisch, aber ernsthaft über eine rassistische „Remigration“ – also Deportation – von Millionen BürgerInnen reden, läuft es allen, die noch irgendetwas Menschliches fühlen, eiskalt den Rücken runter. Das Unwort des Jahres scheint damit schon im Januar festzustehen. Doch wer weiß, es kann noch schlimmer kommen, ein Blick auf die Umfragen genügt.
Logisch, dass nun die Verbotsdebatte Fahrt aufnimmt. Auch wenn ein Verfahren riskant wäre und der AfD sogar helfen könnte. Ein Dilemma. Fürs Erste wäre es schon ein demokratieförderlicher Fortschritt, wenn es die Ampel endlich schaffen würde, kohärente Entscheidungen zu treffen, die länger als drei Tage gelten, und die eventuell, man wagt es kaum zu hoffen, wieder mehr Zuversicht und Zufriedenheit verbreiten könnten. Wie groß der Frust in den eigenen Reihen ist, demonstrierte gerade deprimierend deutlich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der den ewigen Streit zwischen den Ampelpartnern erst „demokratiezersetzend“ nannte und direkt danach selbst neuen Streit anfachte, als er den Kompromiss beim Agrardiesel lautstark kritisierte. Es klang, wie die Verbotsrufe aus Regierungsparteien, hilflos und verzweifelt.
Vielleicht könnten ja Globuli gegen Angstgedanken und die AfD helfen, wenn man ganz fest daran glaubt. Aber die wissenschaftliche Evidenz spricht leider eindeutig dagegen, weshalb die Kügelchen künftig nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden. Falls es nach dem Bauernaufstand nicht noch eine Rebellion der Homöopathiefans gibt und die Ampel wieder einknickt.
Womöglich hat Karl Lauterbach schon neue Widerstandssymbole heraufbeschworen, als er darauf hinwies, dass man auch den Klimawandel nicht mit Wünschelruten bekämpfen könne. Immerhin, der Gesundheitsminister hat trotz allem seinen Humor noch nicht verloren. Das finde ich, ganz im Ernst, tröstlich. Denn immer nur klagen und bibbern hilft ja auch nicht.
Dann lieber zwischendurch in der seligen Vergangenheit schwelgen, um ein bisschen Kraft zu tanken. Mir wurde es, das gebe ich zu, ganz warm ums Herz, als ich noch einmal sah, wie es Franz Beckenbauer als Höhepunkt seiner Karriere schaffte, einen Ball sogar von einem Weißbierglas direkt in die Torwand des ZDF-Sportstudios zu schießen. So viel Glück machte damals niemanden neidisch. Sogar Bayern-Hasser lachten über seinen Kaiserschmarrn und seine Chuzpe, als er das Ergebnis eines Seitensprungs bei der Weihnachtsfeier kommentierte: Der liebe Gott freue sich über jedes Kind.
An dieser Haltung scheinen sich jetzt Berlins Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch zu orientieren, die trotz aller Kritik an ihrer Liaison weiter Kabinettstisch und Bett teilen. Die Frage, ob sie schon bei Günther-Wünschs Ernennung zusammen waren, ist zwar berechtigt, aber die geforderte Transparenz schwer zu erzwingen. Es sei denn, man möchte einen Untersuchungsausschuss, in dem wie bei Monica Lewinsky und Bill Clinton nach Oralverkehr und Spermaflecken gefragt wird. Das muss doch nicht sein. Oder wie Beckenbauer gesagt hätte: Der liebe Gott freut sich über jedes Liebespaar.
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