: Die Stunde der Bedenkenträger
■ „Schindlers Liste: Der Film und seine Wirkung“, eine Diskussion in der Schauburg: Eine leblose Expertenrunde, einige berufsmäßig Betroffene und ein paar hoffnungsvolle Stimmen
„Kritische Fragen an Spielbergs Film „Schindlers Liste“ stellen sich nur schwer aus einer Kultur heraus, die keine annähernd ähnliche Auseinandersetzung mit dem größten organisierten Verbrechen, das Menschen je begangen haben, zuwege gebracht hat“, schrieb der Filmkritiker Georg Seeßlen im „Freitag“. Wie wahr das ist, wie peinigend es werden kann, wenn dennoch eine Expertenrunde zusammentrifft, um über „die Wirkung“ von „Schindlers Liste“ zu befinden – das war am gestern vormittag im vollbesetzten „Schauburg“-Kino zu erleben.
Sabine Offe (Religionswissenschaftlerin), Inge Marßolek (Historikerin), Gülbahar Kültür (Lyrikerin), Horst-Werner Franke (Ex-Lehrer für Geschichte und Ex-Bildungssenator) tanzen den Eiertanz um einen Film und seine Wirkung „auf das deutsche Publikum“, ohne auch nur ein kleines Wörtchen darüber zu verraten, was „Schindlers Liste“ ihnen selbst bedeutet hat. Und hätten nicht Ruby Räcker (Schülerin) und Michel Friedman – dessen Eltern von Oskar Schindler gerettet worden sind – mit auf dem Podium gesessen: Es wäre beim abstrakten Expertentum geblieben. Denn der Experte zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er ganz Wesentliches am Film vermißt: „Er löst nicht auf, wie die Juden überlebt haben“ (Sabine Offe); „er zeigt nicht die Vorgeschichte des Dritten Reichs“ (Horst-Werner Franke); „er produziert den Mythos, mehr Menschen wie Oskar Schindler hätten die Ermordung der Juden verhindert“ (Offe); womöglich ist er „historisch nicht wahrhaftig?“ (Moderator Hermann Kuhn) – was Inge Marßolek zurückweist: Spielberg habe nicht nur „gut recherchiert“, es sei ihm auch „gelungen, historische Wirklichkeit einzufangen.“ Und insgesamt – das läßt sich immer gut vertreten – hat dieser Film doch einen recht „zwiespältigen“ Eindruck beim fachlich kompetenten Kinogeher hinterlassen – so klang es in vielen Beiträgen der Expertenan.
Nun kann es zwar nicht darum gehen, Gefühlsbekenntnis einzuklagen bei einem Film, der wie kein anderer gleichzeitig ein Millionenpublikum erreicht und dennoch als Erlebnis bei jedem einzelnen zutiefst persönlich bleibt; bei einem Film, den man nicht sieht, um unter Freunden „mitzureden“, sondern um erst einmal zu schweigen. Und Ruby Räcker, die Schülerin, war – neben Michel Friedmann – die einzige in dieser Runde, die ein lebendiges Verhältnis zu Spielbergs Film bewahrte. „Der Film und seine Wirkung“ – das ist, wie Ruby Räcker sagte, „zuerst vollkommene Sprachlosigkeit und etwas, das in mir passiert, wovon ich noch nicht weiß, wie es mich verändert.“ Und im Versuch, sich auszumalen, daß man „zwei Jahre lang im Kino sitzen müßte, und nur für jeweils eine einzige Sekunde ein menschliches Gesicht zu sehen, um zu begreifen, was sechs Millionen Menschen sind“ – darin liegt ein so fassungsloses Bekenntnis der Unvorstellbarkeit, wie es in all den bedenkenträgerischen Reden über die Wirkung von Spielbergs Film längst nicht mehr anzutreffen ist.
Sehr segensreich hingegen kann „Schindlers Liste“ auf Damen wirken, deren „Handlungsfähigkeit mit dem Zusammenbruch der Blöcke erloschen ist“. So eine Dame saß im Publikum und konstatierte halb klagend, halb stolz, daß „ich mich durch diesen Film jetzt auf mich selbst besinnen und Friedensarbeit leisten kann.“ Und schließlich war es doch noch Hermann Kuhn, glücklos als Moderator, der ohne Larmoyanz die klarsten Worte fand, um jenen Zustand der Linken zu beschreiben, der eine Rezeption von „Schindlers Liste“ so schwierig macht: „Wir Linke haben alles, was wir von damals wußten, für Theorien instrumentalisiert. Und jetzt zeigt dieser Film, daß unser Feindbild, der klassische Kapitalist, Juden gerettet hat. Das geht gegen die politische Kultur meiner Generation.“ Zumindest diese Selbsterkenntnis wäre als Wirkung von „Schindlers Liste“ zu bezeichnen.
Sybille Simon-Zülch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen