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Die Schöne am Kap boomt

Seit der Wende in Südafrika ist Kapstadt erfolgverwöhnt. Nun bewirbt sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Spiele im Jahr 2004  ■ Aus Kapstadt Kordula Doerfler

Es gibt Städte auf der Welt, für die kein Superlativ gut genug scheint. Die Schöne am Kap, die Perle zwischen zwei Ozeanen, die Liebliche hinter den Weinbergen ist so eine. „Wer an Kapstadt denkt, hat stets ein Lächeln auf den Lippen“, sagt selbst der hartgesottene Manager Chris Ball. Angesichts von soviel Schönheit verzeiht man großzügig die poetischen Entgleisungen, mit denen in Reiseführern und Broschüren das Kap der Guten Hoffnung angepriesen wird.

Den schönsten Blick auf die Stadt hat, wer sich ihr wie die alten Seefahrer vom Meer her nähert. Das gewaltige Massiv des Tafelbergs überragt die gleichnamige Bucht. Im Vordergrund liegt der Hafen, dahinter erstreckt sich die Stadt bis auf halbe Höhe des immergrünen Bergs. Die Schönheit wäre vollkommen, wären da nicht einige Scheußlichkeiten des burischen Städtebaus aus den siebziger Jahren: das monströse Gebäude der Stadtverwaltung zum Beispiel oder drei runde 20stöckige Wohntürme, direkt am Fuß des Bergs. Immense Bestechungsgelder flossen damals, um am Rande des Naturschutzgebiets so etwas hochzuziehen. Doch wer wird schon kleinlich sein. Kapstadt, einst ein gottverlassener Außenposten der holländischen Ost-Indien-Kompanie, ist heute eine der schönsten Städte der Welt. Die „Capetonians“ wissen das. Bescheidenheit paßt nicht zu Superlativen. Und so schickt sich die Schöne am Kap selbstbewußt an, die olympischen Spiele im Jahr 2004 auszurichten. Am 7.März wird das IOC vier bis fünf Städte in die Vorauswahl nehmen. Die Schöne hofft, diese Hürde zu nehmen.

„Für Kapstadt muß man nicht werben“, sagt der örtliche Wirtschaftsminister Chris Nissen, „Kapstadt wirbt für sich selbst.“ Seit der politischen Wende in Südafrika boomt die Stadt geradezu unverschämt. Während in Johannesburg nur noch die Kriminalitätsraten in den Himmel wachsen, sind es in Kapstadt die Tourismuszahlen. Während die Innenstadt von Johannesburg von den meisten Weißen mittlerweile gemieden wird und nachts gespenstisch ausstirbt, pulsiert in Cape Town City urbanes Leben.

Zwar wird der weitaus größte Teil von Südafrikas Bruttosozialprodukt nach wie vor im industriellen Ballungsraum im Norden verdient. Die Kapregion aber ist der Tourismusschlager des Landes schlechthin. Fast eine Million Besucher kam 1995, ein selbst für die Branche schwindelerregender Zuwachs. Allein 25 neue Hotels sind derzeit in Planung, um die Nachfrage zu stillen. Um die Weihnachtszeit, zur südafrikanischen Hochsaison, läßt sich in Kapstadt jede Hundehütte teuer vermieten. Dann fallen auch die von den Kapstädtern nur wenig geliebten Transvaaler aus dem Norden zu Hunderttausenden ein. Allerdings dauert der Spuk nur vier Wochen, dann sind die Ferien zu Ende, und das Kap gehört wieder seinen Bewohnern und den Touristen.

„Was will man noch mehr: Hier gibt es Berge, zwei Ozeane, gutes Essen, herrliches Wetter und großartigen Wein“, sagt Heike B. Einmal im Jahr, im Februar, entfleucht sie dem deutschen Winter und läßt die Seele baumeln. Allein mit 40 Stränden wirbt Kapstadt in den Reiseführern. Die Vegetation ist mediterran und vertraut. „Kapstadt ist international, Kapstadt ist einfach super“, pflichtet ihr Peter S. aus Stuttgart bei. Nach den Briten sind die Deutschen mittlerweile die größte Besuchergruppe. „Wenn es so weitergeht, werden sie die Engländer bald überholt haben“, glaubt Ilona Silverman, Sprecherin der halbstaatlichen Tourismusagentur Captour.

Auch andere schwärmen von den Deutschen. „Trotz Rezession haben sie immer noch sehr viel Geld, um sich hier einzukaufen“, sagt Erol Finkelstein, einer der Geschäftsführer der Immobilienfirma Seeff. Erst 1964 gegründet, ist sie heute eine der ganz Großen der Branche. Der letzte Schrei in Kapstadt sind ausgebaute Lofts, für südafrikanische Verhältnisse sündhaft teuer. Die Käufer aus Übersee profitieren vom Kursverfall des Rands und den niedrigeren Zinsen in Europa. Ein Refugium in der südlichen Sonne ist trotz Preissteigerungen von jährlich bis zu 30 Prozent im internationalen Vergleich immer noch ein Schnäppchen. Wo kann man sonst für 100.000 Mark eine Wohnung in der Stadt kaufen, eine Villa mit Meerblick für weniger als eine Million? Nummer eins der Hitliste ist die Atlantikküste, eine schicke Mischung aus Kalifornien und Mittelmeer. Dort ist zwar das Meer eiskalt, dafür sind die Buchten vor einer der Plagen Kapstadts, dem Südostwind, geschützt.

An den Wochenenden und zur Hochsaison schiebt sich eine endlose Blechlawine die Strandpromenade von Camps Bay entlang. Wer hier abends essen möchte, mit Blick auf den Sonnenuntergang, muß oft Wochen vorher einen Tisch reservieren. Braungebrannte, athletische Surfer nehmen ihre Drinks. Wer besonders hip sein will, läßt sein Auto verschiffen. BMWs und Mercedes- Kabrios mit Münchner oder Hamburger Kennzeichen sind das nicht gerade dezente Tüpfelchen auf dem I in der Welt der Schönen und Reichen, in einer Gesellschaft, die einem Werbeprospekt entnommen sein könnte.

Es ist kein Zufall, daß gerade die Werbeindustrie das Kap entdeckt hat. Multikulti bei Sonnenuntergang verkauft sich gut. Denn die Stadt ist ja auch ein Vielvölkergemisch, und das ist politisch korrekt. Diese Mischung allerdings gibt es nur an wenigen Orten: An der Universität, in manchen Jazzklubs, im ersten demokratischen Parlament Südafrikas, das seinen Sitz mitten in der Stadt hat. Ansonsten mischt sich auch im Jahre drei der Amtszeit Nelson Mandelas noch lange nicht, was nie zusammengehören durfte. Von den knapp drei Millionen Einwohnern Kapstadts ist zwar die Mehrzahl Nicht-Weiß. Je teurer und schicker aber die Innenstadt wird, desto mehr gilt für sie wieder der Slogan aus alten Zeiten: whites only. Wenn Parlament und Regierung nach Norden verlegt werden sollten, so befürchtet mancher, wird Kapstadt endgültig zum Freistaat für Weiße. Schon heute lieben es Touristen und Johannesburg- Flüchtige als die europäischste Stadt Schwarzafrikas, mit alten Plätzen und Straßencafés, mit superschicken Boutiquen und teuren Restaurants zu gelten. Hier läßt es sich sogar abends zu Fuß flanieren.

Afrika liegt anderswo. Schwarze prägen das Stadtbild kaum. Aufgrund der besonderen Geschichte des Kaps sind sie noch immer bei weitem die kleinste Bevölkerungsgruppe (22 Prozent). In der Zeit der Apartheid war es für Schwarze so gut wie unmöglich, in Kapstadt legal zu wohnen. Nicht zufällig entstanden deshalb ausgerechnet dort die schlimmsten Slumsiedlungen Südafrikas. Sie wachsen heute weiter, denn aus den alten Homelands Transkei und Ciskei strömen unablässig Arbeitssuchende ans Kap. Die Provinzregierung fordert gar schon einen finanziellen Ausgleich.

Außerhalb des Stadtkerns, in den sogenannten Cape Flats, leben auch die meisten Mischlinge. Sie stellen die Mehrheit der Kapbevölkerung (55 Prozent) und sprechen als erste Sprache Afrikaans, die stark vereinfachte Sprache der holländischen Siedler. Die weißen Machthaber gaben ihnen immer etwas mehr Rechte. Das danken sie, indem sie heute noch die Nationale Partei wählen. Die Provinz Westkap rund um Kapstadt ist die einzige in Südafrika, in der die Nationale Partei eine Mehrheit hat. Im vergangenen Jahr machten die überwiegend muslimischen „Coloureds“ international von sich reden, als sie eine Bürgerwehr mit dem Namen „Pagad“ gründeten und einen Drogendealer öffentlich verbrannten. Jetzt ist es ruhiger um die militante Truppe geworden.

Banden- und Drogenkriminalität haben allerdings kaum abgenommen in den Elendsvierteln, in die sich selten ein Tourist verirrt. Auch das ist ein Pluspunkt Kapstadts: Den Erblasten der Apartheid, andernorts in Südafrika brutal sichtbar, läßt sich leicht aus dem Weg gehen. Dabei sind die Townships von Kapstadt besonders arm und rückständig, die Kriminalitätsraten pro Einwohner weit höher als im berüchtigten Johannesburg. Auch die Verstädterung ist extrem: 90 Prozent der etwas über vier Millionen Menschen in der Provinz leben im Großraum Kapstadt. Das Hinterland ist menschenleer.

Die Townships aufzubauen, sie mit Schulen, Häusern und Arbeitsplätzen zu versehen, muß deshalb ganz oben auf den Programmen von Provinz- und Kommunalpolitikern jeglicher Couleur stehen. Besonders eifrig gibt sich dabei heute die rundum gewendete Nationale Partei. Der ANC als Juniorpartner in der Provinzregierung muß sich an deren Seite mühsam durchlavieren, dominiert aber in den frischgewählten kommunalen Gremien. Andrew Boraine, der neue Stadtdirektor, hat die undankbare Aufgabe, die vollkommen ineffektive und verlotterte Stadtverwaltung umzustrukturieren und in den nächsten Jahren mehr als ein Drittel der 16.000 städtischen Bediensteten zu entlassen. Angst und Unsicherheit gehen in den muffigen Gängen des burischen Monumentalbaus um. „Hier kümmert sich derzeit niemand um die Zukunft der Stadt“, sagt einer, der lieber anonym bleiben will. „Jeder fürchtet nur um seinen Kopf.“ Die Zukunft wird andernorts geplant. Im 26. Stockwerk des Metlife-Buildings unten am Hafen zum Beispiel. Dort wurde im vergangenen Jahr die Olympia-Bewerbung ausgearbeitet. Bis vor kurzem herrschte kein Zweifel, daß Kapstadt diese Hürde mühelos nehmen und am Ende das Rennen machen würde. Neben natürlichen Schönheiten und einem atemberaubenden politischen Wandel kann Südafrika mit einer Bewerbung aufwarten, die das arme und das reiche Kapstadt zukünftig viel stärker miteinander verbindet.

Die nationale Regierung stellte sich ausgesprochen zögerlich hinter die olympische Idee: Nur wenn es dem Team unter dem ehemaligen Banker Chris Ball gelingen sollte, die früher unterprivilegierten Gebiete miteinzubeziehen, war man bereit, finanzielle Garantien zu übernehmen. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet und nicht nur eine Olympia-Bewerbung, sondern auch einen Entwicklungsplan für die Region vorgelegt“, sagt der deutsche Projektleiter Manfred Gundlach, vom Sponsor Daimler- Benz zur Verfügung gestellt. Die Bewerbung sieht vor, ein öffentliches Verkehrsnetz aufzubauen und vor allem die Townships mit Sportstätten und Infrastruktur auszustatten. Sollte alles scheitern, und darauf ist Gundlach stolz, bleibt immer noch eine hervorragende Planungsgrundlage.

Die öffentlichen Bekundungen der Regierenden aber klingen anders und mitunter allzu selbstbewußt. Kapstadt eben und dazu Nelson Mandela. Spiele für Afrika. Was kann da noch schiefgehen? Vor ein paar Tagen hat die Euphorie allerdings einen empfindlichen Dämpfer erlitten. Die Götter im Olymp haben in einem Zwischenbericht die Bewerbung technisch zwar gelobt, aber ausgerechnet die hohe Kriminalität moniert. Die erfolgsverwöhnten Kapstädter waren schockiert. Chris Ball beeilte sich, die Evaluierung ins rechte Licht zu setzen. Kapstadt habe immer noch gute Chancen, in die Vorauswahl zu kommen. Damit mag er recht haben. Das Lächeln auf den Lippen gerät ihm allerdings seitdem etwas mühsam.

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