Die Schatten von Mutlangen: In der Verbannung
■ Ein frecher Richter in der Provinz soll mundtot gemacht werden – und wehrt sich
Bereits im feudalistischen Obrigkeitsstaat des19. Jahrhunderts galt das niedersächsische Städtchen Rinteln als ein Ort, an den der Dienstherr solche Beamten strafversetzte, die ihm für kritische Positionen gut zu sein schienen – wohl der Grund, warum man zu Zeiten kurhessischer Herrschaft von der Stadt als „Hessisch-Sibirien“ sprach.
Vor diesem Hintergrund mag es kein Zufall sein, dass der Jurist Christian Rost dem Amtsgericht in Rinteln als Richter zugewiesen wurde, gehörte er doch zu jenen unbotmäßigen Staatsdienern, die seinerzeit vor Mutlangen an den Sitzblockaden der Friedensbewegung teilnahmen und dafür diversen disziplinarrechtlichen Untersuchungen ausgesetzt waren. Inzwischen hat Amtsrichter Rost offenbar seinen Frieden mit dem „Verbannungsort“ gemacht, ohne dabei seine engagierte Sicht auf Politik und Gesellschaft, Staat und Justiz in den vorzeitigen Ruhestand geschickt zu haben - zum Leidwesen einiger Konservativer, die seine Leserbriefe in der „Schaumburger Zeitung“ zum Anlass für Kampagnen nahmen, in denen sie dem Richter auf Grund seines Amtes jedes Recht zu öffentlichen Stellungnahmen absprachen.
Kein Wunder, dass Rost von seinen Widersachern in der regionalen Politik wärmstens für ein Disziplinarverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle empfohlen wurde – ein Verfahren allerdings, das von der couragierten OLG-Präsidentin Oltrogge im März dieses Jahres eingestellt wurde, weil sie denn doch das Grundrecht der Meinungsfreiheit höher einschätzt als den von konservativen Vertretern des Beamtenrechts eingeforderten Kadavergehorsam unter der Flagge des Mäßigungsgebots.
Die Verfahrenseinstellung hat offenbar jenen im hannoverschen Justizministerium nicht geschmeckt, denen „die ganze Richtung“ nicht passt: Ein noch vor Verfahrenseinstellung in der FR veröffentlichter Leserbrief von Rost wurde jetzt als „neue Erkenntnis“ bemüht, um ohne direkte Mißachtung der Celler Entscheidung einen weiteren disziplinarischen Anlauf zu nehmen. Diesmal wird dem Richter vorgeworfen, er habe in seiner Kritik an der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Altbundeskanzler Helmut Kohl durch die Justiz in NRW „konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot der Mäßigung“ gegeben. Dabei habe er das Rechtssystem der Bundesrepublik diffamiert, und dies könne den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllen.
Zum Vorwurf werden ihm dabei Formulierungen wie diese gemacht: „Wenn mich die bei mir angeklagten Jugendlichen und Heranwachsenden darauf ansprechen und die konsequente Strafverfolgung ihrer Taten beklagen, dann kann ich ihnen einstweilen wohl nur sagen, dass vom Urteil des Strafrichters sich nur der freikaufen kann, der Geld hat, vielleicht noch Bundeskanzler war oder ist und die Justiz davon überzeugen kann, dass seine Strickjacke den Mantel der Geschichte darstellt“.
Obwohl „der Fall Rost“ inzwischen bereits Gegenstand von zwei parlamentarischen Anfragen ist, zeigte sich der neue Justizminister Christian Pfeiffer als neuer „Herr des Verfahrens“ auf Nachfrage über den Inhalt des Leserbriefs nicht informiert, war aber offenbar schon von ministerialbürokratischen „Ohrtrompeten“ darauf aufmerksam gemacht worden, dass Rost „Grenzen überschritten habe“ und disziplinarrechtliche Schritte daher „verständlich“ seien.
Der Amtsrichter indessen bleibt seiner entschiedenen Haltung treu: „Dieser Bescheid ist der erneute Angriff der Justizverwaltung auf die Meinungsfreiheit der Richter... Dem werde ich mich nicht beugen, sondern notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.“ UrDrü
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