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Die Schätze bergen

Frauen kennen die Schattenseiten der Moderne, sie sind flexibler und innovativer als viele Männer  ■ Von Mechtild Jansen

Frauen strampeln sich ab. Sie leisten mehr und landen doch immer wieder in der zweiten Klasse. Siegen sie dennoch, wird das Gewonnene abgewertet. Frauen sind in der Arbeit die Verliererinnen. Vor ihnen rangiert der Männerbund. In der Krise versucht das Amalgam aus Markt und Mann jede Veränderung wieder zu killen: Die Schrauben werden angezogen, von oben nach unten; und die Weichen werden neu gestellt. Damit alles anders wird und doch bleibt, wie es war. So tut man zwar in Holland, Skandinavien wie auch hier viel Interessantes „für die Frauen“. Kreiert wird ein Heer moderner Sklavinnen: die Teilzeitarbeiterinnen, die Dienstmädchen und Erwerbslosen für unbezahlbare Arbeit.

Doch die Sache hat einen Widerhaken. Sie untergräbt sich selbst. Wird die Frau erst frei von allen Bindungen an den Mann und von der Individualisierung erfaßt, muß sie sorgen für sich selbst und zeigen ihre Zähne. Die Frauenerwerbstätigkeit wird allen konjunkturellen Schwankungen zum Trotz weiter wachsen. Die Tendenz ist steigend beim Willen zur eigenständigen Existenzsicherung: Es fragt sich allein, unter welchen Bedingungen und in welchem Zeitraum, mit wieviel sozialer Spaltung oder gemeinschaftlicher Befreiung er sich verwirklicht.

Frauen haben für die Konkurrenz von morgen die relativ besseren Karten. Sie sind heute im Schnitt höher qualifiziert als Männer. Sie stellen sich flexibler auf neue Bedingungen ein. Sie haben die Überlebensnotwendigkeiten von morgen besser erfaßt, denn sie kennen die Schattenseite der Moderne. Sie haben mehr Erfahrungen, disparate Lebenswelten miteinander zu verbinden und in komplexen Prozessen zu handeln. Ihr Zwang und Ansporn zu Leistung und Innovation ist größer. Zugleich steht und fällt ihre Identität nicht mit dem Beruf. Sie haben zwei Standbeine im Leben und sind moderner als der eindimensionale Mann. Die Gleichstellung der Geschlechter wird eine zentrale Frage der Zukunft sein.

Mit den Frauen zieht neuer Fluch und Segen in die Erwerbsarbeit ein. So hält die große Flexibilisierung Einzug, die ein in hundert Jahren erkämpftes Tarifsystem unterläuft, indirekt aber zu einer Verkürzung der Arbeitszeit führt. Mit den Frauen zieht ein Arbeitskräftepotential ein, das besondere soziale Fähigkeiten im Umgang mit dem Menschen herausgebildet hat. Das geschieht jedoch in einem Moment, wo zur Gewinnoptimierung die hochentwickelte Computertechnologie mit einer maximalen Entwicklung der kreativen Ressource Mensch kombiniert werden muß. Die Frauen bringen eine erlernte Fähigkeit zum Dienen ein, nachdem die instrumentelle Herrschaft über Mensch und Natur an existentielle Grenzen stößt. Mit ihnen wird Sinn und Wert der bisherigen Produkte und Produktionsweisen in Frage gestellt. Neue Ausbeutung und neue Herrschaft liegen ganz nahe bei neuer Freiheit für die Frau.

Fluch und Segen hängen auch im Schlepptau der Frauen – Kinder, Alte und Schwache, die sich selbst nicht versorgen können, und Männer, die sich selbst nicht versorgen wollen. Die von der Frau „aus Liebe“ erbrachte Reproduktionsarbeit ist an bestimmte Lebensformen gebunden, die sich längst auflösen. Immer mehr unverrichtete Arbeit kommt nun auf den Tisch des Herrn des Hauses.

Der historische Wind der Veränderung der Arbeit bläst den Frauen in den Rücken. Ihnen fällt die Rolle von Pionierinnen zu. Wenn Frauen dann auch politische Motoren einer bewußten Gestaltung dieser Prozesse von unten werden, können sie Unterdrückung abwerfen. Sie müssen einen neuen gesellschaftlichen Arbeitsvertrag mit gleichen Rechten, Pflichten und Chancen – in der öffentlichen und der privaten Arbeit – zwischen Frau und Mann erkämpfen.

Frauen können auf drei Ebenen ansetzen: Sie müssen zu eigenen Bedingungen und mit der Perspektive einer Veränderung in die patriarchale Berufswelt eindringen. Frauen müssen eigene Unternehmen gründen und sich selbst Arbeitsplätze schaffen, mit denen sie ihre bisherigen privaten Arbeiten als öffentliche professionalisieren und ihre traditionell erworbenen Qualifikationen optimal einsetzen. Sie können ihren Sinn für Eigenarbeit und schönes Leben Männern erschließen.

Die patriarchale Berufswelt ist nicht mit einem zweiklassigen Teilzeit-Arbeitsmarkt umzugestalten, sondern nur durch eine radikale allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Mit ihr müssen Erwerbsarbeit und Geld umverteilt werden. Eine durchschnittlich kürzere Arbeitszeit wäre in sich flexibel zu gestalten. Frauen müssen kollektiv ihre traditionelle Arbeit teurer machen, um die indirekte Lohnungleichheit abzuschaffen. Betriebliche und tarifliche Gleichstellungspolitik ist so nötig wie eine Struktur- und Wirtschaftspolitik, die eine Abschaffung der Diskriminierung fördert und subventioniert.

Frauen können dort Arbeitsplätze und Unternehmen gründen, wo der gesellschaftliche Bedarf riesengroß ist, eben weil Frauen für die alte Unterwerfung ausfallen. Das fängt an beim Handwerk, bei sozialen, pflegerischen, versorgerischen, bildungsmäßigen, bürokratischen Dienstleistungen und Beratungen aller Art. Es geht über in neue soziale und Umweltberufe, Berufe der Kommunikation, Information und Werbung. Und es reicht bis hin zu sozialen Institutionen ganz neuer Art wie Kinderbetreuungszentren, Zentren für selbstbestimmte Einrichtungen für Alte oder Kranke. Ein ganz eigenes Feld für Frauen sind Führungsaufgaben.

Gesellschaftspolitisch wäre langfristig ein „öffentliches Wesen für Kinder“ zu erkämpfen, so wie es ein öffentliches Bildungswesen gibt. Gleiches gilt für das gesellschaftliche Leben mit Alten und Kranken. Beides wäre mit neuen Lebens- und Wohnformen zu verbinden, in denen individuelles Leben sich mit offenen gemeinschaftlichen Lebensformen verbinden kann. Schließlich sind Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Struktur- und Gesellschaftspolitik und das politische System weiter so umzubauen, daß geschlechtsspezifische Arbeitsteilung entfällt. Auf diesem Wege zöge mit den Frauen mehr Sinn und Freiheit in die Berufsarbeit ein. Es bliebe für alle Zeit zur Pflege menschlichen Zusammenseins, für private Sorge und Eigenarbeit, Kultur, Demokratie und zweckfreies Leben.

Alles nur schöne Utopie? Nein, die Frauen können die Verhältnisse umgestalten. Dazu brauchen sie ausgefeilte und organisierte Strategien – etwa für die Niederlegung von Arbeiten, die nicht angemessen bezahlt sind oder nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Ebensolche Strategien sind nötig für die Schaffung eigener selbstbestimmter Arbeit im Privaten und Öffentlichen. Wenn sie Ausbeutung und Arbeit nur für andere radikal aufkündigen, haben sie Zeit und Kraft, den Schatz unter ihrem eigenen Ofen auszugraben.

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