: Die Rückkehr der runden schwarzen Scheibe
Der Umsatz mit Schallplatten hat sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland verdreifacht – trotz gestiegener Preise. Früher kauften viel mehr Männer Vinyl, heute sind es fast genauso viele Frauen

Von Joachim Göres
Schallplatten kaufen und hören – das schien lange Zeit ein aussterbendes Hobby älterer Musikliebhaber und ähnlich populär wie Briefmarkensammeln oder die Mitgliedschaft in einem Buchclub zu sein. Doch weit gefehlt. „Zu mir kommen seit einigen Jahren extrem viele junge Leute, die von LPs fasziniert sind, wegen der aufwendigen Cover, der Haptik und natürlich der Musik“, sagt Martin Maag, Inhaber des Ulmer Soundcircus. In seinem 80 Quadratmeter großen Laden bietet er rund 20.000 Langspielplatten an. Vor allem Titel der 80er Jahre sind bei der jungen Kundschaft gefragt, von Gruppen wie The Cure und Soft Cell. „Das ist eine Gegenbewegung zum schnellen und billigen Konsum von Musik. Für Platten nimmt man sich Zeit und Muße, das beginnt bei der Auswahl hier vor Ort. Die Schallplatte ist ein Luxusprodukt“, sagt Maag, dessen Ulmer Laden an vier Tagen in der Woche geöffnet ist.
Zu 60 Prozent werden bei ihm gebrauchte Exemplare gekauft. „Ich muss für ältere Platten nicht auf die Suche gehen, sondern bekomme ständig Angebote von Menschen, die ihre Sammlung auflösen. Dabei muss natürlich der Zustand stimmen“, betont Maag. Früher hat er die runden Scheiben auch über das Internet verkauft, wegen des Aufwands beschränkt er sich mittlerweile aufs Ladengeschäft. Einst waren die Männer stark in der Überzahl, heute kommen fast genauso viele Frauen. Früher war vor allem Heavy Metal hoch im Kurs, inzwischen bietet Maag wegen der großen Nachfrage auch LPs ganz anderer Stilrichtungen an, von Taylor Swift über HipHop, Jazz und Pop bis Rock.
Bei Neuerscheinungen sind die Preise seit 2024 deutlich gestiegen – statt 20 muss man häufig 30 Euro und mehr für eine LP bezahlen. Die Labels nennen höhere Kosten für Rohstoffe und Energie als Grund. „Es wird aber durch die Preiserhöhungen auch versucht, mehr Geld zu verdienen. Das machen nicht alle Kunden mit“, sagt Maag. Während Schallplatten bei ihm dennoch insgesamt boomen, sieht er keine Zukunft für die CD, die er derzeit für ein Euro das Stück verramscht: „Das ist ein aussterbendes Medium.“
Eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Musikindustrie liefert genaue Zahlen. Danach hat sich der Umsatz mit Schallplatten in den letzten zehn Jahren in Deutschland verdreifacht, im vergangenen Jahr lag er bei 153 Millionen Euro. 4,9 Millionen Alben wurden 2024 verkauft, mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Gleichzeitig geht der Absatz von CDs seit Jahren zurück – die LPs haben sie fast eingeholt. Die Vinyl-Fans kaufen vor allem Hardrock, Rock und Heavy Metal (49 Prozent), gefolgt von Pop (26), HipHop/Rap (9) und Jazz (5). Die Plattenkunden sind zu 86 Prozent männlich und zu zwei Dritteln älter als 50 Jahre. Im Vergleich mit Käufern von CDs, Download-Käufern sowie Musikstreamern spielt für die Schallplattenkäufer Musik eine deutlich größere Rolle: Sie bezeichnen sich selber am häufigsten als Musikfans, nehmen sich mehr Zeit für das bewusste Hören von Musik und sind aktiver, um neue Titel zu entdecken. Dabei spielt der stationäre Handel eine immer geringere Rolle: Nur noch 5 Prozent des Umsatzes mit dem Verkauf von Musiktiteln erfolgt über Plattenläden – vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei 40 Prozent. Die heutigen Top 5 der Musikhändler sparen sich die Ladenmieten: Amazon, Apple Music, JPC, Spotify, Youtube Music.
„Viele junge Leute sind der digitalen Angeboten überdrüssig. Sie wissen, dass die meisten Künstler über Spotify kaum Geld verdienen und wollen sie lieber durch den Kauf einer Platte unterstützen“, sagt Günter Wiesmann, Besitzer von Lautstark in Mainz, und fügt hinzu: „Außerdem wird die besondere Gestaltung eines Covers geschätzt, und nicht zuletzt liegt der Kauf gebrauchter LPs im Trend zu Secondhandkäufen.“ In seinem 40-Quadratmeter-Laden in der Mainzer Altstadt gehen zu 90 Prozent gebrauchte Platten über die Theke, der Preis liegt meist zwischen 10 und 20 Euro. „Es gibt aber auch echte Raritäten, die teurer sind“, sagt Wiesmann. Wie Soundcircus in Ulm ist auch Lautstark einer der typischen Ein-Mann-Läden, betrieben von Musikfans, die aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht haben.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen