Die Polen gehen mit Furcht ins Spiel: Ein Ordensträger auf Reisen

Vor dem EM-Auftakt gegen die deutsche Mannschaft sorgt sich Leo Beenhakker, der Herbergsvater der polnischen Auswahl, um die Moral seiner Schützlinge.

Polens Nationaltrainer aus den Niederlande, Leon Beenhakker, beim Training in Bad Waltersdorf. Bild: rtr

BAD WALTERSDORF taz Leo Beenhakker, Träger des "Ordens für die Wiedergeburt Polens", weiß um die Erwartungshaltung der polnischen Fans. Im Trainingszentrum im Thermenörtchen Bad Waltersdorf hängt ein 40 Quadratmeter großes Laken, auf dem sich ungezählte Fußballfans aus Krakau, Warschau oder Poznan verewigt haben. Sie haben einfach unterschrieben oder ein paar Sinnsprüche draufgekritzelt. Das riesige Laken begleitet die Polen auf ihrer Reise durch Österreich und die Schweiz.

Die Situation: Die drängendsten Probleme hat das DFB-Team auf den Außenbahnen. Dort werden rechts der verletzte Schneider, links Schweinsteigers WM-Form vermisst. Ersetzen sollen sie wahrscheinlich Lukas Podolski und Clemens Fritz. Parallelen bei den Polen: Nach der Verletzung Blaszczykowskis ist die technisch versierte Flügelzange auseinandergebrochen. Wie Deutschland agiert auch Polen mit zwei defensiven Mittelfeldspielern vor der Abwehr. Trainer Beenhakker variiert je nach Spielverlauf zwischen 4-2-3-1 und 4-4-2. Polen spielt daher flexibler als noch 2006 - und zuletzt auch erfolgreicher.

Deutschland: Lehmann - Lahm, Mertesacker, Metzelder, Jansen - Frings, Ballack - Fritz, Podolski - Klose, Gomez

Polen: Boruc - Wasilewski, Bak, Zewlakow, Wawrzyniak - Dudka, Lewandowski - Lebodzinski, Kzynowek, Lobodzinski - Zurawski - Smolarek

Anstoß: So, 20.45 (ZDF)

Polen ist zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft dabei, und der Auftakt am Sonntag könnte kaum schwieriger sein. Die Deutschen erwarten sie in Klagenfurt, und gegen die haben sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gewinnen können. Auch nicht bei der vergangenen Weltmeisterschaft, als Oliver Neuville mit seinem Tor in der Nachspielzeit ihre Ambitionen zunichtemachte. "Ich fürchte mich schrecklich vor dieser EM", hat Polens Fußballlegende Grzegorz Lato unlängst gesagt, und auch bei anderen ist der Respekt vor dem WM-Dritten groß.

Leo Beenhakker, der Holländer, versucht derweil, die latente Furcht vor dem Nachbarn etwas abzumildern, indem er sagt: "Ich sorge für Ruhe in der Mannschaft, denn wenn man nervös ist und vor dem Spiel zum Beispiel nicht schlafen kann, dann ist das schlecht, und man bringt keine Leistung." Er ist so etwas wie der Herbergsvater der polnischen Mannschaft. Seine Trainingsmethoden sind nicht die neuesten, sein taktisches Geschick ist überschaubar, doch als Gute-Laune-Coach ist der erfahrene Beenhakker (65) immer noch zu gebrauchen, zumal er bei seinem letzten Engagement für Trinidad und Tobago etliche Lektionen in Lockerheit erhalten hat. Einen schnellen Spruch hat er denn auch immer drauf. Zum Beispiel den: "In Holland sagt man: Um sicherzugehen, dass man Deutschland geschlagen hat, muss man sie bis in den Bus verfolgen."

Die Verfolgung aufgenommen haben vor allem die polnischen Boulevardmedien, die mit "schmutzigen Kampagnen" (Beenhakker) auf das Spiel hinarbeiten. Beenhakker hat sich seit den Ausfällen von Fakt und Super Express in dieser Woche gleich mehrfach entschuldigt, sozusagen in seiner Funktion als Fußballbotschafter Polens. "Ich habe Verständnis dafür, dass die Zeitungen einen Warm-up machen müssen, aber es gibt nun mal klare Grenzen, und die sind hier ein paarmal überschritten worden", sagte er. Doch allzu lange wollte er sich nicht mit den Bildern von abgeschlagenen Köpfen des Gegners und mit Erinnerungen an mittelalterliche Schlachten beschäftigen, schließlich hat er sein Team im verregneten Burgenland auf das Spiel am Sonntag einzustimmen.

Das ist gar nicht so einfach, denn erneut fällt ein Kicker aus. Mittelfeldspieler Jakub Blaszczykowski von Borussia Dortmund hat am Freitagmorgen das EM-Quartier der Polen verlassen müssen. Nachnominiert wurde Lukasz Piszczek, Angreifer von Hertha BSC Berlin. Nach einer Übungseinheit am Donnerstag hatten Polens Teamärzte entschieden, dass Blaszczykowski nach einer Ende Mai im Trainingslager in Donaueschingen erlittenen Oberschenkelzerrung nicht für die Europameisterschaft fit sei. Der verblüffte Piszczek sagte nach seiner Ankunft in Österreich: "Ich bin im totalen Schock." Er wird es verschmerzen, dass er seinen Urlaub auf Rhodos beenden musste.

Blaszczykowski ist bereits der zweite schwerwiegende Ausfall in der Mannschaft von Beenhakker - nach Verteidiger Grzegorz Bronowicki. Nichtsdestotrotz sieht der Holländer seine Mannschaft bestens gerüstet und in viel besserer Verfassung als noch vor zwei Jahren. "Die Körpersprache meiner Jungs sagt mir: Sie sind bereit für die Herausforderung", sagt Leo Beenhakker. Und an alles, wirklich alles, will der Weltenbummler auch gedacht haben: "Wir haben sogar 10 gegen 11 gespielt, und 11 gegen 10."

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