: Die Phallus-Monologe
Angewandte Gender Studies: Tori Amos schlüpft in die bekannten Songs von männlichen Kollegen – nicht zuletzt ein kurzer Versuch über den mutmaßlichen Zusammenhang von Geschlecht und Gewalt
von DANIEL BAX
„Klingt nach Verschwörungstheorie“, befand der Journalist. Dabei hatte Tori Amos lediglich gesagt, dass die Radiostationen in den USA generell fast nur Musik von Männern spielten und dass Selfmadewomen wie Madonna in der Popwelt noch immer eine absolute Ausnahme darstellten. Der Autor des kulturspiegel, der Kulturbeilage des Spiegel, mochte das nicht so recht glauben. Dabei hätte er nur ein paar Seiten im eigenen Heft weiterblättern und den aktuellen len Konzertkalender betrachten müssen, um Bestätigung für die Beobachtung der Sängerin zu finden. Denn dort fanden sich, von Air über Roxy Music bis Mercury Rev, ausschließlich männliche Interpreten aufgelistet. Manche Dinge sind eben so offensichtlich, dass sie gar nicht auffallen.
Wenn Männer aber so allgegenwärtig und schlichtweg nicht wegzudenken sind aus der Popmusik, dann könnte es sich doch lohnen, einen genaueren Blick auf ihr Treiben zu werfen. Das jedenfalls haben sich schon Joy Press und Simon Reynolds gedacht, zwei namhafte angelsächsische Musikjournalisten, und 1995 mit ihrem Buch „The Sex Revolts“ eine brillante Studie über „Gender, Rebellion und Rock ’n’ Roll“ vorgelegt – eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme der gängigen Rock- und Pop-Archetypen, die den Wertekanon der westlichen Popkultur reflektieren (die bekanntlich keinen Deut progressiver ist als die Gesellschaft, der sie entspringt).
Anders als der herkömmlichen feministischen Kritik, ging es den Autoren nicht um den alten Schuh, den Platz von Frauen in der Popmusik. Vielmehr richteten sie ihren Blick, ganz im Geiste der Gender Studies, ins Zentrum des Geschehens, auf die Konstruktion von Geschlechteridentitäten, insbesondere der männlichen, in und durch Rock. Denn die Rebellion, die so untrennbar zur Rockmusik gehört wie die Risse in den Jeans, war immer eine Rebellion gegen eine etablierte Ordnung, die mit als „weiblich“ besetzten Prinzipien identifiziert wurde: mit Häuslichkeit und Verweichlichung, mit Stagnation und Seichtigkeit. Der autonome Rockrebell hob sich davon ab, durch Unabhängigkeit und Rastlosigkeit – always on the run eben. Und hatte die klassische Rock-Kultur der 70er, mit ihrer Verehrung so genannter Gitarrengötter, nicht Ähnlichkeiten mit einem neuheidnischen Phalluskult? Von Anfang an waren ihr jedenfalls misogyne Züge eigen, und wenn Rockstars ihre Dämonen exorzierten, blieben nicht selten Frauen auf der Strecke – rein methaphorisch natürlich. Nicht zufällig handeln viele große Rocksongs vom Mord an der Geliebten. Von Jimi Hendrix’ „Hey Joe“ bis zu Nick Caves Mörderballaden: Leichen pflastern den Weg der Rockmusik (der Gattenmord ist als Thema nicht annähernd so populär).
Trotzdem – oder gerade deswegen – haben auch Musikerinnen, von Patti Smith bis Madonna, sich meist bei männlichen Vorbildern das Muster für ihre persönliche Revolte abgeschaut. So auch Tori Amos, die nicht von Kate Bush inspiriert wurde, auch wenn sie viele Parallelen zu ihrer englischen Vorgängerin aufweist: die schamanische Versponnenheit, das Spiel mit dem Mystizismus. Bei ihren Konzerten hat Amos schon oft die Anekdote erzählt, wie sie als pubertierendes Mädchen einst für den Machorocker Jimmy Page schwärmte. Und die martialische Led-Zeppelin-Hymne „Whole Lotta Love“, die sie leise auf dem Piano intoniert, gehört, neben Coverversionen von „Angie“ oder „Smells like Teen Spirit“, zu ihrem üblichen Live-Repertoire. Nun hat Tori Amos ein ganzes Album aufgenommen, das Stücke ausschließlich männlicher Autoren versammelt: „Strange Little Girls“ heißt das Werk, das, als Übung in angewandten Gender Studies, einen tiefen Blick ins dunkle Herz der Männerwelt zu werfen verspricht. Als hätte sie „The Sex Revolts“ gelesen, hat Tori Amos dafür ein Dutzend mehr oder weniger bekannte Stücke ausgesucht, die ihr exemplarisch erschienen, sie neu arrangiert und einem Perspektivwechsel unterzogen: Alle Songs sind nun aus der Sicht von Frauen erzählt, die in den Original-Stücken vorkommen, besungen werden oder einfach von Amos dazugedacht wurden. Jedem Song wird ein Charakter zugeordnet, und damit ihre Titelheldinnen wie Menschen aus Fleisch und Blut wirken, hat sich Amos entsprechend verkleidet und fürs Booklet ablichten lassen. Trotzdem wirkt der Kunstgriff konstruiert und nicht nachvollziehbar. Denn letztendlich bleiben es die alten Stücke, aus der Sicht und mit den Worten von Männern. Keine Vagina-Gespräche also, so gesehen, sondern Phallus-Monologe, wie gehabt.
„Strange little girls“ will aber auch eine Meditation über Gewalt sein, ganz allgemein, was dem Album, angesichts der jüngsten Ereignisse, eine unbeabsichtigte Aktualität gibt. Dabei dachte Tori Amos natürlich weniger an die panoramischen Weltkriegsszenarien, die nun gewälzt werden, als vielmehr an den alltäglichen molekularen Bürgerkrieg vor und hinter der Haustür. An die Macht der US-Waffenlobby zum Beispiel, gegen die sich ihr „Hapiness is a warm gun“ richtet. Amos’ Version verbindet die Beatles-Vorlage mit Radio-Zitaten von George W. Bush und dessen Vater zur assoziativen Hörspiel-Collage, die daran erinnert, dass John Lennon, der Autor des Stücks, schließlich selbst einem Attentat zum Opfer fiel. An einer Stelle ist sogar die Stimme ihres eigenen Vaters zu hören, eines Methodistenpfarrers aus North Carolina, der ebenfalls ein eifriger Verfechter des Rechts auf die eigene Schusswaffe ist. Ihre Interpretation des sarkastischen Boomtown-Rats-Titels „I don’t like Mondays“ wiederum ruft ins Gedächtnis, dass die USA die Monster, die sie bedrohen, nicht nur im Nahen Osten gebären. Der Song nimmt ursprünglich Bezug auf ein Schulmassaker in Irland Anfang der 80er und stammt von Bob Geldof. Für Amos klang er, nach den Amokläufen in Littleton und anderen amerikanischen College-Städten, ungebrochen aktuell.
Das Aufgreifen solch unbehaglicher Themen ist nichts Neues bei Tori Amos, auch wenn der musikalisch eher gefällige Rahmen ihrer Stücke nicht immer die oft düsteren Texte verrät. Schon auf ihrem Erfolgsalbum „Little Earthquakes“ verarbeitete sie, mit dem Stück „Me and a Gun“, eine Vergewaltigung, die sie am Anfang ihrer Karriere erleiden musste. Und nicht zuletzt die Cover ihrer letzten beiden Alben, die sie mal mit einer Flinte auf einer Südstaatenveranda, ein anderes Mal als dekorative Wasserleiche zeigten, ließen auf leicht morbide Fantasien schließen: ein Fall für den Therapeuten. Der seriösen Musikpresse ist sie deswegen ein wenig suspekt: Als seltsames Mädchen, das in Interviews gerne kryptisches Zeug von sich gibt, kokettiert sie ein wenig zu sehr mit dem Klischee von weiblicher Irrationalität. Und das latent Bekenntnishafte an Sängerinnen wie ihr, die ihre inneren Verwundungen ausstellen, wirkt grundsätzlich stets ein wenig peinlich, so wie das Ausplaudern von intimen Gedanken eben. Kann sie das denn nicht für sich behalten?
Andererseits aber gibt ihr der Zuspruch Recht: Für eine halbe Generation ist sie eine Art postfeministisches Idol, über 200 Internet-Seiten mit Titeln wie „The Church of Tori“ preisen ihren Namen. Und obwohl ihre letzten Alben nicht mehr an die Qualität und den Erfolg ihrer früheren Veröffentlichungen anknüpfen konnte, landete sie damit noch immer stets ganz oben in den Verkaufscharts.
Nicht anders wird es ihr mit „Strange Little Girls“ gehen, obwohl das Konzept etwas aus dem bisherigen Rahmen fällt. Für die Aufnahmen trommelte Tori Amos im Vorfeld ihre besten männlichen Freunde zusammen und befragte sie nach ihren Lieblingssongs. Die Auswahl der Stücke lässt daher allerhand Rückschlüsse auf die Zusammensetzung ihres Bekanntenkreises zu, denn das Album bietet ein Wiederhören vor allem mit Songs aus den 80ern und von Musikern, die gemeinhin als the thinking mans popstars gehandelt wurden und werden: So wie Lloyd Cole, dessen „Rattlesnakes“ von 1982 von einem Mädchen handelt, das Simone de Beauvoir liest und Tori-Amos-hafte-Sätze sagt wie „a girl needs a gun these days“. Oder so wie Joe Jackson, der sich ungefähr zur gleichen Zeit mit dem Stück „Real Man“ fragt, was eigentlich den Mann zum Mann macht. Ihm schwante damals: der drohende Krieg der Geschlechter verspricht keine Überlebenden zu hinterlassen.
Doch vom Krieg der Geschlechter ist schon lange nicht mehr viel die Rede. Von einem Backlash gelegentlich zwar schon, doch als Kommentar dazu eignet sich „Strange little girls“ nur bedingt, denn über die aktuelle Popszenerie, von Limp Bizkit und der Bloodhound Gang bis zu Britney Spears sagt das Album reichlich wenig aus: Zwar hat Tori Amos, aus Gründen der Vollständigkeit vielleicht, beispielsweise Eminems maliziösen Horror-Rap „Bonnie & Clyde 98“ auf die CD genommen, der davon erzählt, wie der Künstler die Leiche seiner untreuen Frau zu einem See fährt, um sie dort zu versenken – bei Amos wird das Stück zum beklemmenden Hörspiel aus der Tiefe des Kofferraums, zudem hat sie ein Stück der Metal-Band Slayer in eine elegische Beschwörung verwandelt. Doch wer Aufschluss über andere aktuelle Jungsfantasien sucht, die derzeit in Musikform die Runde machen, wird enttäuscht: Es ist vor allem der introvertierte Mann der 70er und 80er, der aus den „Strange little girls“ spricht. Es fehlen die zeitlos schillernden Figuren jener Dekaden, die Jaggers und Jim Morissons, die Bowies und Ferrys, aber auch die Slackers, Lads und Whimps der 90er sucht man vergeblich, oder den grotesk überkandidelten Machismo des Mainstream-Raps und des zeitgenössischen R ’n’ B.
Was bleibt, ist eine Sammlung mehr oder weniger origineller Coverversionen, die oft wie seziert und präpariert wirken, hinter Milchglas ausgestellt, entrückt. Mit elektronischem Besteck wie in Äther verpackt, haucht Tori Amos den Songs mit ihrem Klavierspiel, mit überlegt platzierten Geigen und Celli und mit ihrem charakteristischen Keuchen neues Leben ein. Doch letztlich bleiben es, zieht man die zugesprochene Bedeutung ab, eben ein Dutzend ungewöhnlich präsentierter Coverversionen. Nicht mehr, nicht weniger.
Tori Amos: „Strange little girls“ (eastwest)
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