piwik no script img

„Die Perser“ in GöttingenDen Mut finden, selbst zu handeln

Vor fast 2.500 Jahren wurden „Die Perser“ erstmals aufgeführt. Nun hat die Regisseurin Ivana Sokola das antike Drama mit Anspielungen auf die Gegenwart versehen.

Woran orientieren, was glauben? Szene aus „Wir Perser“ Foto: Thomas Aurin

Von

Jens Fischer aus Göttingen

Uraufgeführt vor fast 2.500 Jahren sind „Die Perser“ von Aischylos weiterhin von großer Wucht. Denn die behandelte Hybris in staatlichen Führungsetagen sowie daraus folgende Gewaltexzesse sind ja nach wie vor weltweite Praxis. Um das noch deutlicher zu machen, hat die junge Dramatikerin Ivana Sokola den Text für das Deutsche Theater in Göttingen überschrieben, inklusive Hier-und-heute-Jargon sowie humorvollen Volten. Branko Janack inszeniert das vor einer Wellblechwand in direkter Publikumsansprache.

Im Original erhebt zuerst der persische Chorführer seine Stimme, um von König Xerxes zu erzählen, der mit riesigem Heer gegen Griechenland zog, um sich für die von seinem Vater bei Marathon verlorene Schlacht zu rächen. Sokola lässt ihn später behaupten, er habe sein Land zu alter Größe verhelfen und zeigen wollen, dass die Perser wieder wer sind.

Ohne es auszuspielen oder auch nur anzuspielen, das ist die Aufführungstaktik, wird so etwa auf Trumps machopolitisches Gebaren sowie den barbarischen Krieg verwiesen, den Putins Russland gegen die Ukraine führt.

Bei Sokola tritt zuerst aber eine Botin auf, gibt ein bisschen die Autorin des Abends und belehrt das Publikum über die Anatomie dramatischen Erzählens, will die Kriegstoten als um Mitleid bettelnde Gespenster lebendig werden lassen – mit dem Ziel: „Lernt etwas daraus.“

Verwässerte Tatsachen

Ver­tre­te­r:in­nen der daheimgebliebenen, also nicht kriegstauglichen Perser stellen den Chor. Es ist ein Knäuel zitternd, wimmernd Klagender, die die Abwesenheit ihrer Männer, Kinder, Brüder beweinen, eingehüllt in öden Radiopop, was natürlich niemanden beruhigt. Nun rückt wie bei Aischylos die einstige Königin Atossa (Andrea Strube) in den Mittelpunkt.

Sie ist in Göttingen keine verzweifelnde Schmerzensmutter, voller Besorgnis um ihren Sohn Xerxes, sondern hat sich bereits auf seinen Thron gesetzt und versucht mit Werbebotschaften wie Freiheit, Freizeit, Gerechtigkeit eine matriarchale Gesellschaft aufzubauen. Während der Chor dabei erst mal an lähmende Bürokratie denkt, moderiert Atossa dessen Wankelmut in der strahlend manipulativen Art modernen Politmanagements und behauptet: „Ich lasse eure Kinder betreuen / Ich mache den Strom grün / Ich verbiete den Autos zu fahren, zumindest schneller als 30.“

Aber alle haben einfach nur Angst: „Wir hocken hier / In männerfreien Häusern / Wie gähnende Münder / Mit Kindern wie Karies. / Kein Bakterium verschont uns / Die Geier ziehen schon Kreise / Wer verteidigt uns?“

Nachrichten von der Front kommen per Unheilsboten. Pathetisch beschreibt der den Untergang des persischen Heeres, verschlungen vom Meer nahe der ägäischen Insel Salamis. Weitere Bo­t:in­nen berichten aus ihrer Perspektive vom Grauen der Niederlage. Ein Hin und Her von „So war es“ und „So war es nicht“. Eben wie in den Selbstdarstellungsforen des Internets – einem endlosen Strom widersprüchlicher Behauptungen, Erwägungen und Meinungen. Woran orientieren, was glauben? Es folgt der bekannte Vorwurf interessengeleiteter Desinformationen: „Die Wahrheit ist pleite. / Emotionen sind die neue Währung“.

Passend zu dieser Verwässerung der Tatsachen wird die Spielfläche gewässert, um die sprachliche Ebene bildsymbolisch aufzuladen. Das Wasser tanzt mit dem reflektierenden Bühnenlicht bezaubernde Projektionen auf die Rückwand.

Nächste Aufführungen

„Wir Perser“, Deutsches Theater Göttingen

31.10, 5.11., 19.11., 2.12., 5.12., je 19.45 Uhr

Auftritt Xerxes (Paul Trempnau). Der Heerführer versucht, sich aus der Schuld für Hunderte versenkte Schiffe, Zehntausende Tote, das Leid der Hinterbliebenen und das Ende der persischen Seeherrschaft herauszureden. Er will wieder König sein, Atossa aber nicht weichen. Und wie verhält sich der Chor in diesem umkämpften Machtvakuum? Startet eine revolutionäre Bewegung? Leider genauso wenig wie im heutigen Russland oder Iran. Aus Trauer, Schmerz, Verzweiflung erwächst in einer Zeit der Ungewissheit vielmehr Jubel für Xerxes als die starke männliche Hand, der von der Mutter als „verzogener Sohn“ und „Versager“ bezeichnet wird.

Im Gegensatz zur Vorlage mit ihren Monologblöcken ist hier also richtig was los in Rede und Gegenrede. Der Regie gelingt mit viel Witz eine dichte, kurzweilige Inszenierung. Für die Sokola eher assoziativ denn stringent die Archaik der Vorlage mit reichlich Anspielungen auf gegenwärtige politische und soziale Entwicklungen verschweißt.

Bei Aischylos geht es um den empathischen Blick auf die Nöte des besiegten Feindes, bei Sokola um den Versuch, die Tragödie für den Mut eigener Handlungsoptionen zu öffnen. „Wenn wir durch das Erzählen die Macht haben / Die Welt neu zu erfinden – / Wieso tun wir das nicht?“, sagt die Botin im Epilog. Also wo ist das Theater, dass der Autorin den Stückauftrag erteilt, genau das zu tun?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare