: Die ÖTV will den DGB abspecken
■ Reformpapier sieht Aufgabenbeschränkung auf Gesellschaftspolitik und Service vor
Stuttgart (dpa) – Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Dachorganisation der sechzehn Einzelgewerkschaften, muß nach dem Willen der Gewerkschaft ÖTV durch „Straffung und Bündelung seiner Aufgaben effizienter“ werden. Der Hauptvorstand der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) legte am Sonntag in Stuttgart ein Reformpapier vor, das „gravierende Konsequenzen“ für die bisherigen DGB-Strukturen nach sich ziehen würde. Die beim Dachverband DGB angelegten Doppelstrukturen, etwa in Form gewerkschaftlicher Gremien und Organe, wie es sie ebenfalls bei den Einzelgewerkschaften gibt, will die ÖTV abbauen.
Die Ämter der DGB-Vorsitzenden auf Kreis- und Landesebene soll es in Zukunft nach den ÖTV-Vorstellungen nicht mehr geben. Ihre Aufgaben sollen Geschäftsführer übernehmen. Auch die regelmäßig tagenden DGB- Kreis- und Landesbezirkskonferenzen sollen entfallen. Sollte der DGB seine alten Strukturen weiterhin behalten, „drohen Effizienzverluste und die Schwächung gewerkschaftlichen Einflusses in der Gesellschaft“, heißt es in dem ÖTV-Papier. Unmißverständlich stellt die ÖTV fest: „Die unmittelbare Interessenvertretung und Mitgliederbetreuung ist Aufgabe der Einzelgewerkschaften“. Allein bei den Mitgliedsgewerkschaften sei auch die „demokratische Willensbildung angesiedelt“.
Den DGB-Bundeskongreß will die ÖTV zwar als höchstes Organ des DGB erhalten. Er soll auch mit seinen von den Einzelgewerkschaften entstandten Delegierten weiterhin die Grundsätze der Gewerkschaftspolitik bestimmen. Die Zahl der Delegierten soll nach dem ÖTV-Vorschlag allerdings von 600 auf 400 reduziert werden. Die in die Reformdebatte des DGB eingebrachte Überlegung, künftig im Rahmen eines Rotationssystems das Amt des DGB- Vorsitzenden von den Chefs der Einzelgewerkschaften wahrnehmen zu lassen, wird von der ÖTV entschieden zurückgewiesen.
Der DGB muß sich künftig nach dem Willen der ÖTV stärker als bisher im Service-Bereich engagieren und sollte speziell im Rechtsschutz seine Tätigkeiten ausbauen. Der DGB als Dachverband sollte sich künftig auf die Themen gesellschaftspolitische Grundsatzfragen, Rechtspolitik, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik sowie die Bildungspolitik konzentrieren.
Zum Thema Fusionen stellt die zwei Millionen Mitglieder zählende ÖTV fest: „Im DGB muß künftig Platz sein für eine Vielfalt von größeren und kleineren Gewerkschaften.“ Holding- und Fusionsmodelle dagegen würden „den in sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht“. Damit hält die ÖTV – wenn sie es auch nicht offen ausspricht – die angestrebte Fusion von IG Chemie, IG Bergbau und Gewerkschaft Leder für wenig sinnvoll. Insgesamt bekommt der DGB von den Einzelgewerkschaften pro Jahr um die 300 Millionen Mark. Bei der ÖTV ist man sich sicher, daß auch die anderen Gewerkschaften ähnlich „in Richtung effektivere DGB-Strukturen“ denken. Auf jeden Fall, so Beobachter, hätte die ÖTV ihren Vorstoß nicht unternommen, wenn sie sich nicht mindestens der heimlichen Zustimmung des großen Bruders IG Metall sicher gewesen wäre. Schon jetzt ist klar, mit ihrem Papier hat die ÖTV für den nächsten DGB-Kongreß im Juni in Berlin Feuer an die Lunte gelegt.
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