■ Die Nato ist nun eine der Staatengemeinschaft übergeordnete Instanz: Milošević gibt auf
Das Ultimatum hat gewirkt. Milošević hat kapituliert. Von seinem Standpunkt aus hat er trotzdem das gewagte Spiel mit einem persönlichen Sieg beendet. Als er gestern über das staatliche Fernsehen erklärte, es sei Einigkeit über eine friedliche Lösung aller Probleme erreicht worden, ging ein Aufatmen durch das Land. Die Angst vor Angriffen nicht nur auf militärische Ziele, sondern vor Flächenbombardements auf die Städte war so groß, daß die Bürger an nichts anderes dachten.
In der ersten Euphorie wurde übersehen, daß Kosovo für Serbien wahrscheinlich verlorengeht, die Souveränität des Landes aufgegeben wird, aber Milošević seine Funktion behält. Wenn 2.000 Abgesandte der OSZE in Kosovo alles überwachen, Nato-Flieger das Geschehen kontrollieren und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vor Ort untersuchen darf, wer Schuld auf sich geladen hat, kann von einer Unabhängigkeit des Landes keine Rede mehr sein.
Viele Detailfragen müssen nun gelöst werden. Vor allem, wie die Autonomie Kosovos innerhalb Serbiens und Jugoslawiens aussehen soll. Eine kurzfristige Lösung wird sowohl der serbischen als auch der albanischen Seite gewaltsam aufgedrängt werden. Aber die Kosovo-Albaner werden die Frage ihrer Loslösung von Serbien schon bald wieder stellen. Verhält sich Serbien künftig geschickter, steht die Welt dann vor dem Problem, wie man die Albaner beruhigen soll. Es gibt noch keine Lösung der albanischen Frage, sie wird nur aufgeschoben.
Serbien steht vor einer Regierungskrise. Zur Zeit ist die Radikale Partei unter Vojislav Šešelj Koalitionspartei der Milošević-Sozialisten. Wenn Šešelj sich an seine bisherigen Erklärungen hält, muß er mit seinen Ministern zurücktreten. Dieses Problem ist zu lösen, wenn an seiner Stelle die Erneuerungsbewegung von Vuk Drašković eine Koalition mit den Sozialisten bildet. Eine solche Entwicklung könnte als relative Entradikalisierung der innenpolitischen Situation bewertet werden.
Tatsache jedoch ist, daß die Nato im Alleingang die Resolution 1.199 des UN-Sicherheitsrates ausgelegt, bewertet, mit der Androhung militärischer Mittel durchgesetzt und die OSZE, ohne sie besonders zu befragen, in Zugzwang gebracht hat. Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen. Die als Nordatlantischer Verteidigungspakt geschaffene Organisation ist zu einer der internationalen Staatengemeinschaft übergeordneten Instanz geworden. Ivan Ivanji
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