Die NOlympiastadt Berlin: Dagegen sein ist alles
Vor 15 Jahren wollte auch Berlin einmal Olympiastadt werden. Doch wie scheitert man als Kandidatenstadt? Eine Spurensuche.
Am 23. September 1993 gab es zwar das Aus für Berlins Olympiaträume, nicht aber für die Großprojekte, mit denen Berlin bei den Spielen 2000 protzen wollte. Sowohl die Max-Schmeling-Halle als auch das Schwimmstadion und die Radsporthalle an der Landsberger Allee wurden für eine halbe Milliarde Euro weitergebaut. An der Chauseestraße waren die Fakten ohnehin geschaffen. Das Stadion der Weltjugend wurde vor der Olympiaentscheidung abgerissen. Größter Profiteur der Anti-Olympia-Bewegung ist deshalb der BND, der dort seinen Neubau errichtet. Finanziell ist Olympia für den Senat bis heute ein Zuschussgeschäft. Noch immer zahlt der Senat bei den Betriebskosten der Schmeling-Halle und des Velodroms das Defizit an den Betreiber Velomax. Nach der Verlängerung des Vertrags bis 2015 hat der Senat 123,4 Millionen Euro in den Haushalt gestellt. Nach der Fertigstellung der O2-World und dem Umzug der Basketballer von Alba in diese Halle könnte das Defizit noch größer werden. "Ein gewisses Risiko ist damit verbunden", so Sport-Staatsekretär Thomas Härtel. Das war es wohl damals schon.
Klaus Wowereit will Olympia. Daran hat Berlins Regierender Bürgermeister nie einen Zweifel gelassen. Die Linke dagegen schon. Im Koalitionsvertrag 2001 übte die SPD deshalb Verzicht. Nach dem Aus der Leipziger Bewerbung 2004 brachte Wowereit Berlin erneut für Olympia 2016 oder 2020 ins Spiel. Nach der Neuauflage der Koalition 2006 hieß es deshalb diplomatisch: Wir halten uns an das Votum des Deutschen Olympischen Sportbunds. Einen endgültigen Strich durch die Rechnung machte Berlin dann München: Wegen der Bewerbung der Bayern für die Winterspiele 2018 ist ein deutscher Austragungsort für die Sommerspiele auf Jahre hinweg unwahrscheinlich geworden.
Zwei Tage vor der Entscheidung war der Boulevard fest in chinesischer Hand. Blau-weiß kostümierte Mädchen aus dem Reich der Mitte sangen eingängige Melodien, junge Männer schwenkten Fahnen, die Zuschauer klatschten. Nur ein paar tibetische Studenten, die auf Menschenrechtsverletzungen hinwiesen, störten. Sie wurden diskret aber bestimmt abgeführt.
So geschah es vor 15 Jahren auf der Allee des Boulingrins in Monte Carlo. Zwei Tage später, am 23. September 1993, sollte das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf seiner 101. Sitzung darüber entscheiden, wer den Zuschlag für die olympischen Sommerspiele 2000 bekommt: Manchester, Istanbul, Sydney, Peking oder Berlin.
Der Protest der Tibeter war nur ein Vorgeschmack auf das, was das monegassische Fürstentum am Vorabend des Showdowns erleben sollte. Während die Mitglieder des IOC im Casino von Monaco speisten, gab eine Trillerpfeife auf dem Vorplatz das Signal. Berliner Demonstranten stürmten auf die Place du Casino, warfen Flugblätter und Böller in die Luft und skandierten "NOlympia in Berlin".
Die monegassischen Sicherheitskräfte waren so konsterniert, dass sie selbst unbeteiligte Touristen verhafteten. Den zahlreichen Journalisten, die das Spektakel verfolgten, rissen sie die Flugblätter aus der Hand. Wo immer das IOC tagt, ist Protest unerwünscht. Nicht nur in China, auch mitten in Europa.
Doch der Protest hatte Erfolg. Als am Abend des 23. September Juan Antonio Samaranch schließlich verkündete: "And the winner is Sydney", war der Jubel nicht nur in Monaco unbeschreiblich. Auch im Berliner Tränenpalast, wo die NOlympioniken zur Abschlussfeier zusammenkamen, spielten sich Freudenszenen ab. "Man verstand das eigene Wort nicht mehr", erinnert sich Petra Schwarz, die als SFB-Moderatorin live für die "Tagesthemen" berichtete. "Ich musste ins Mikro schreien, um mich selbst zu hören."
Die Geschichte der Olympischen Bewegung ist inzwischen gut erforscht. Sporthistoriker untersuchen den Geist von Olympia, die Nazi-Spiele von 1936 oder die Terroranschläge auf die Spiele in München 1972. Der Protest gegen Olympia ist dagegen noch ein weitgehend unbekanntes Feld.
Für Christian Wacker, den Direktor des Deutschen Sport- und Olympia-Museums in Köln, liegt das auch daran, dass es gegen die jüngsten Spiele kaum Proteste gegeben hatte. "In Athen war 2004 die Begeisterung ebenso groß wie in Sydney 2000. Auch dort, wo im Zuge von Olympia die halbe Stadt umgebaut wurde, habe es Zustimmung gegeben. Sowohl in Barcelona 1992 als auch in München 1972, so Wacker, hätte die Bevölkerung von Olympia profitiert. "München wäre noch heute ein bayerisches Provinznest, hätte es die Spiele von 1972 nicht gegeben."
Umso erstaunlicher war das Ausmaß der Proteste gegen die Berliner Bewerbung. Auch deshalb, weil die Spiele ursprünglich sogar die Teilung Berlins überwinden sollten. Einen ersten Vorstoß hatte der Westberliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) bereits vor dem Fall der Mauer unternommen. Am 19. Juni 1989 hatte Momper seine Pläne für die "Spiele über die Mauer" öffentlich gemacht. Ganz bewusst sollte die DDR-Regierung unter Druck gesetzt werden, die Spiele gemeinsam mit dem Westteil der Stadt auszutragen. Ob das gelungen wäre, bleibt fraglich. Als Reaktion auf die Westberliner Offerte dachte das SED-Regime laut über eine Bewerbung von Leipzig nach.
Dennoch hielt der rot-grüne Senat an den Plänen fest - auch nach dem Fall der Mauer. Doch die Berliner, erfreut vom Ende der Teilung und verunsichert vom Metropolentaumel, wurden zunehmend skeptischer. Ein Jahr, nachdem Berlin 1991 seinen Hut in den Ring geworfen hatte, ergab eine Infas-Umfrage, dass nur 25 Prozent der Berliner die Olympia-Bewerbung ausdrücklich begrüßten. Bei einem weiteren Drittel überwog die Zustimmung. 34 Prozent der Befragten reagierten ablehnend. Immerhin 54 Prozent rechneten mit allgemeinen Preissteigerungen, bei 39 Prozent war Olympia mit der Sorge um eine starke Verschuldung Berlins verbunden.
So sehr sich der Senat auch bemühte, auf die Vorteile der Spiele hinzuweisen - an der skeptischen Grundfärbung änderte sich wenig. Auch kurz vor der Entscheidung am 23. September 1993 in Monaco sprach sich mehr als ein Drittel der Berliner gegen Olympia aus. Zurecht, wie der damalige Anti-Olympia-Aktivist und heutige Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) meint. "Die Olympiabewerbung stand für eine verfehlte Stadtpolitik, für Verschuldung und umstrittene Großprojekte", resümiert Wolf. "Anfang der Neunzigerjahre hatte Berlin einfach besseres zu tun, als eine Festivalisierung der Stadt zu organisieren."
Pleiten und Pannen
Es war allerdings nicht nur fehlende Begeisterung, die Berlin in Monte Carlo scheitern ließ. Mit verantwortlich war auch eine Bewerbung, die sich vor allem durch Pleiten, Pech und Pannen auszeichnete. Den ersten Patzer lieferte Lutz Grüttke. Kaum im Amt, präsentierte der Chef der Olympia GmbH die Berliner Olympiabotschafter. Prominente wie Steffi Graf, Franz Beckenbauer, Boris Becker oder Lothar Matthäus sollten künftig für die Berliner Bewerbung die Werbetrommel rühren. Pech nur, dass Grüttke vergaß, seine Botschafter davon zu unterrichten.
Nicht viel glücklicher agierte Grüttkes Nachfolger Axel Nawrocki. Unter seiner Ägide begann der Chef der privaten Olympia Marketing GmbH, Nikolaus Fuchs, mit dem Lobbying bei den IOC-Mitgliedern. Dabei legte er auch ein Dossier über die Vorlieben der greisen IOC-Granden an - darunter auch deren sexuelle Neigungen. Als das Geheimdossier schließlich öffentlich wurde, war die Öffentlichkeit geschockt. Fuchs musste gehen.
Aber auch die Olympiagegner ließen die Berliner Bewerber schlecht aussehen. Den größten Coup landeten sie am 27. Januar 1993 im schweizerischen Lausanne. Dort, am Sitz des mächtigen IOC, wollten die Berliner Offiziellen die 541 Seiten starke Bewerbungsschrift offiziell übergeben. Zuvor kamen ihnen aber zwei NOlympioniken: Harald Wolf und die grüne Abgeordnete Judith Demba. Im Gepäck hatten sie nicht die offizielle Bewerbung, sondern eine unmissverständliche Videobotschaft. An deren Ende warnte ein Punk mit einem Pflasterstein vor den Folgen einer IOC-Entscheidung für Berlin mit den Worten: "We will wait for you."
"Das Video", findet Harald Wolf heute, "war grenzwertig." Dennoch sei es wichtig gewesen, die Kritik auch nach Lausanne zu tragen. "Der Protest hat eine Stimmung aufgegriffen, die in weite Kreise der Bevölkerung vorgedrungen war."
Bis heute ist Harald Wolf Olympiaskeptiker geblieben. "Ich halte eine neuerliche Bewerbung nicht für richtig", sagt er und geht damit auf Distanz zum Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Der hatte zuletzt davon geträumt, Berlin für die Sommerspiele 2020 ins Gespräch zu bringen.
Geld oder Umfragen
Welchen Anteil die Berliner Proteste am Scheitern der Berliner Bewerbung 1993 in Monaco hatte, ist in der Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert worden. Für Ex-NOlympia-Aktivistin Judith Demba ist die breite Ablehnung der Berliner Bewerbung immer noch der Hauptgrund für das Scheitern. Dazu gehörte für Demba auch der direkte Kontakt der Olympiagegner zum IOC. "Neben dem Video, das wir in Lausanne übergeben haben, haben wir den IOC-Mitgliedern auch persönliche Briefe geschickt." Selbst als eine IOC-Delegation zur Überprüfung der Bewerbung in Berlin weilte, habe es Gespräche gegeben. "Wir haben dem Delegationsleiter klargemacht, dass Berlin die Spiele nicht ohne Schulden austragen kann."
Ähnlich sieht man das auch in Salzburg. Die Bewerbung der Mozartstadt für die Olympischen Winterspiele 2014 wurde von der Mehrheit der Salzburger in einer Bürgerbefragung abgelehnt - mit satten 61 Prozent. Den Zuschlag bekam das russische Sotschi.
Auch in der Bilanz von Volker Hassemer, dem damaligen Senator für Stadtentwicklung, spielt die mangelnde Unterstützung für Olympia in Berlin eine Rolle. "Meine Hoffnung, die Bevölkerung mit der Olympiabewerbung auch für die eigentlichen Stadtthemen in Schwung zu bringen, war falsch", sagt Hassemer der taz. "Andere Themen waren wichtiger."
Wie falsch seine Hoffnung war, das konnte Hassemer, der heute für die Stiftung Zukunft Berlin arbeitet, an jenem 23. September 1993 hautnah erleben. Nicht in Monaco weilte der CDU-Politiker an jenem Donnerstag, sondern im australischen Sydney. Über die Jubelfeiern in der australischen Metropole meint er: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Deutschland zu einer solchen 100-Prozent-Begeisterung fähig sind."
Gegen die These vom Protest als entscheidendem NOlympia-Faktor sprechen allerdings ein paar Zahlen. Als die IOC-Mitarbeiter in Monaco die Stimmen für die fünf Kandidaten auszählten, zeigte sich nicht nur, dass die Berliner Träume geplatzt waren. Es wurde auch offenkundig, dass Berlin nie ein ernstzunehmender Konkurrent war. Bereits in der ersten Runde erzielte Berlin nur 9 der 88 Stimmen, schlechter schnitt nur Istanbul mit 7 Stimmen ab. In der zweiten Runde flog Berlin raus - ohne dass sich die Stimmenzahl erhöht hätte. Peking bekam 37, Sydney 30 Stimmen. Erst in der letzten Runde gelang es Sydney, Peking zu überrunden.
Einer, der es wissen muss, bestreitet auch im Nachhinein den Einfluss der Proteste. Nikolaus Fuchs, der Sammler des Berliner Geheimdossiers, ist bis heute davon überzeugt, dass das IOC auch nach diversen aufgeflogenen Skandalen im Kern korrupt sei. Der Berliner Morgenpost sagte Fuchs, er kalkuliere mit einer Viertel Million Euro pro Stimme, zu hinterlegen bei Schweizer Notaren. Wer dieses Spiel nicht mitmachen wolle, habe keine Chance auf die Olympischen Spiele.
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