■ Nach der Flucht Tausender KroatInnen aus Travnik: Die Muslimanen und der Terror
Fast schon erleichtert greifen es die internationalen Medien auf: Nun machen sich auch die Muslimanen schuldig. Mit den Fernsehbildern von Travnik, mit den Bildern von kroatischen Flüchtlingen wird suggeriert, daß nun auch die Muslimanen zum Mittel des Terrors greifen. Nicht einmal der Hinweis der UNO- Truppen vor Ort, den von Serben und Kroaten begangenen Massakern Vergleichbares sei ihnen nicht bekannt, kann dem gegensteuern. Ab jetzt bräuchten wir uns keine Gedanken mehr zu machen, ob zu intervenieren sei und wie, lautet die für manche „frohe Botschaft“. Das Chaos „dort unten“ als nicht mehr steuerbar hinzustellen, ist der Tenor, der Entlastung schafft.
Die Realität aber sieht anders aus. In Travnik hat die bosnische Armee die Waffen der kroatischen HVO, die auf die Stadt gerichtet waren, unschädlich gemacht. Immerhin ist ihr damit gelungen, ein Blutbad an der Bevölkerung zu verhindern. Daß Tausende von Menschen die Stadt flohen, hat mit der Heftigkeit der Kämpfe mehr zu tun als mit „ethnischer Säuberung“. Was erwarten wir eigentlich von den bosnischen Muslimanen? Sollen sie sich ohne Gegenwehr weiterhin zur Schlachtbank führen lassen? Nach all den Erfahrungen mit Konzentrationslagern und Massenvergewaltigungen, nach den Ankündigungen der serbischen und kroatischen Nationalisten, der moslemischen Bevölkerung das Lebensrecht zu verweigern? Sollen sie, nachdem die Welt nicht bereit ist, für die Unverletztheit ihres Leben einzustehen, sich freiwillig den faschistischen Terrortrupps der bosnischen Serben oder der Rechtsextremisten der Westherzegowina beugen? Sollen sie, nachdem ihr Appell nach Aufhebung des Waffenembargos auch in den USA verhallt ist, sich in „Schutzzonen“ begeben, in denen weder ihr Leben noch ihre persönliche Würde gewahrt werden können? Nein, der Ruck, der jetzt durch die bosnisch-muslimanische Gesellschaft gegangen ist, den Krieg auch offensiv zu führen, ist positiv. Es ist die einzige Chance für ihr Überleben.
Es sei angesichts des Rechtsextremismus auch in Deutschland daran erinnert, daß die Werte der demokratischen Zivilisation, das friedliche Miteinander unterschiedlicher Nationalitäten in einem Bürgerstaat nach wie vor von den Muslimanen Bosniens verteidigt werden. Und es gehört zur großen Tragik dieser Menschen, daß nicht einmal hierzulande erkannt wird, daß ihr Überlebenskampf eng mit dem unseren verknüpft ist. Gerade unsere fehlende Solidarität ihnen gegenüber ist der Grund dafür, daß jetzt in Travnik einige Tausend KroatInnen fliehen mußten. Erich Rathfelder
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