: „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles“
Der Hamburger Meeresbiologe Winfried Gunkel weiß, was man (nicht) gegen die schwarze Pest am Golf tun kann/ Gegen diese Ölmassen funktioniert kein Rezept/ Gunkel warnt vor chemischen Mitteln: Sie dienen vor allem der Ästhetik ■ Von Vera Stadie
Auf dem Persischen Golf treibt der größte Ölteppich, den es je gegeben hat. Jetzt sind die Experten gefragt. „Wir Wissenschaftler werden oft mißbraucht, um Schlampereien wieder gut zu machen“, klagt Winfried Gunkel, einer der westdeutschen Fachleute für Ölverunreinigungen im Meer, die Umweltminister Töpfer in eine Expertenrunde einlud. „Aber hier sind wir hilflos, bei diesen Ölmassen funktionieren alle Rezepte nicht.“
In sechzig Stunden so groß wie die Erdkugel
Vor 28 Jahren fing der heute siebzigjährige Meeresbiologe an, sich mit dem Ölabbau durch Mikroben zu beschäftigen. „Damals rechnete man zwar schon damit, daß ein Viertel des weltweit geförderten Öls im Meer landen würde, aber niemand dachte daran, meine Grundlagenforschung über ölabbauende Bakterien anzuwenden. Es hat mich von Anfang an interessiert, was passiert, wenn ein Stoff, der viele Millionen Jahre in der Tiefe lag, an die Erdoberfläche geholt wird. Öl ist ja kein Industriegift, es ist ein Naturprodukt, es ist biologisch aufgebaut worden und unterliegt auch dem natürlichen Abbau“, erläutert Professor Gunkel, heute Direktor der Biologischen Anstalt Helgoland.
Rohöl ist ein komplexes Gemisch, es besteht vor allem aus unterschiedlichen Kohlenwasserstoffen. Seine Zusammensetzung wechselt von Ölfeld zu Ölfeld, es gibt praktisch keine zwei Rohöle, die die gleiche Zusammensetzung haben und bis heute ist kein einziges Rohöl chemisch restlos analysiert worden. Dieser vielseitige Stoff dient einer ebenso vielseitigen Gruppe von Bakterien als Nahrungsquelle. Neunzig verschiedene Arten dieser Mikroben hat man bisher gefunden. Sie kommen in allen Meeren vor und sind die einzigen Organismen, die jetzt mit und von dem Ölteppich auf dem Wasser des Persischen Golfs leben können. Die spezialisierten Mikroben besiedeln den Ölfilm auf der Wasseroberfläche und vermehren sich rasant. „Innerhalb von sechzig Stunden könnte aus einem Bakterium ein Klumpen so groß wie die Erdkugel werden, wenn seine Vermehrung nicht begrenzt wäre“, beschreibt Gunkel die ungeheure Potenz seiner winzigen Untersuchungsobjekte.
Man müßte den Golf belüften und umrühren
„Aber die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles. Die Vermehrung und der Ölabbau der Meeresbakterien wird von den Umweltbedingungen gesteuert.“ Begrenzt werde sie vor allem durch die Knappheit an Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Genauso wie Pflanzen brauchten Bakterien diese Nährsalze für ihr Wachstum.
Dort, wo Euphrat und Tigris in den Golf münden und Abwässer mitbringen, würden Nährstoffe ständig nachgeliefert, so Gunkel, „aber weiter draußen ist ihre Konzentration so gering, daß der Ölabbau abflaut“. Kann man da nicht durch Düngung mit diesen Salzen nachhelfen? „Das wäre höchstens auf kleinem Raum, etwa direkt vor einer bedrohten Meerwasserentsalzungsanlage, eine gute Tat“, sagt Gunkel, „aber man kann doch nicht hunderttausende Tonnen von Nährsalzen hineinkippen, das wäre blinder Aktionismus. Außerdem müßte man dann den gesamten Golf belüften und umrühren.“ Belüften müßte man, weil der vollständige bakterielle Abbau von einem Kilogramm Mineralöl den gesamten Sauerstoffvorrat von 400 Kubikmetern Meerwasser verbraucht. Zudem folgen die im Wasser gelösten Salze der Meeresströmung, der Ölfilm an der Oberfläche mit den anhaftenden Bakterien wird aber vor allem vom Wind vertrieben, so daß der Meeresdünger bald nicht mehr dort sein würde, wo er gebraucht wird. Deshalb müßte man den Golf umrühren, wenn die Methode wirken soll.
Auch vor chemischen Mitteln warnt Gunkel. „Wenn man wasserabstoßende Kreide einsetzt, die das Öl aufsaugt, dann dient das vor allem der Ästhetik. Man sieht den Feind dann zwar nicht mehr, aber das Öl sinkt mit der Kreide zu Boden und zerstört dort alles Leben. Detergenzien, wie sie bei Ölunfällen gelegentlich verwendet werden, verteilen das Öl im Wasser. Das wäre aber vor den Entsalzungsanlagen, die das Meerwasser aus fünf Meter Tiefe ansaugen, eine Katastrophe. Es gibt hier keine technische Lösung.“
Kaum ein größerer Ölunfall, der nicht von ganzen Biologen- und Chemikergruppen bearbeitet wird. Die Kenntnisse über die Ölverunreinigungen der Meere sind inzwischen aus vielen traurigen Anlässen umfangreich.
Hellbraune Klumpen und harte Teerbälle
Das Öl breitet sich schnell auf der Meeresoberfläche aus und bildet schon nach einer Stunde einen Film von weniger als einem Millimeter Dicke. Bei den Temperaturen in der Golfregion ist damit zu rechnen, daß innerhalb von wenigen Tagen bis zu 50 Prozent des Öls verdunstet. Das restliche Öl, das sich nicht im Wasser löst und nicht biologisch abgebaut wird, nimmt im Laufe der Wochen immer mehr Wasser auf. Es entstehen hellbraune Klumpen, von den Ölforschern werden sie „Mousse au Chocolat“ genannt, wobei leider nur ihre Farbe und Konsistenz an die beliebte französische Nachspeise erinnert. Im Laufe ihrer Alterung werden die Ölklumpen zu schwarzen, harten Teerbällen, später asphaltartig und spröde, sie treiben oft noch mehrere Jahre im Meer.
Auf die Frage nach den langfristigen ökologischen Folgen für den Persischen Golf antwortet Winfried Gunkel: „Trotz all unserer Kenntnisse sind wir weit davon entfernt, die Auswirkungen von Verölungen im Meer vollständig zu verstehen. Korallenbänke beispielsweise, die durch Öl verschmutzt wurden, erholen sich oft nicht wieder, weil die geschädigten Korallenlarven das Riff unreif verlassen und absterben. Bei den ungeheuren Dimensionen dieses Unfalls versagen alle Prognosen. Es ist sicher, daß unter dem Öl bis auf die Bakterien alles tot ist. Aber wie groß das abgestorbene Areal im Golf ist, und wie viele Jahrzehnte es dauern wird, bis es über die Straße von Hormuz aus anderen Meeresgebieten wieder neu besiedelt wird, kann niemand vorhersagen.“
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