Die Magazine „Flow“ und „Wolf“: Lektüre für Erschöpfte
Nachhaltig wollen beide Magazine sein. Aber während die Männer sich um sich selbst kümmern, sollen die Frauen auf andere achten.
„Flow“ – Schön rosa
D ie Zukunft des Magazinjournalismus sind bunte, fast leere Seiten – zum Ausschneiden, Bekleben und Selber-Beschreiben. Das scheint besser zu funktionieren als Texte und hat trotzdem eine eigene Message, denn das erste Mantra für ein glückliches Leben lautet bei Flow: Keep it simple. Flow aus dem Hause Gruner + Jahr ist ein Magazin für Achtsamkeit oder wie es sich selbst nennt: ein Magazin, das sich Zeit nimmt.
Alles ist schön rosa, das Cover glitzert, und natürlich gibt es bei Flow nicht nur Seiten zum Rausnehmen und Gestalten, sondern auch richtige Texte.
Da erzählt zum Beispiel die Schriftstellerin Juli Zeh vom Schreiben. Es gibt eine Geschichte über eine Frau, die Briefumschläge bastelt, eine Frau, die Möbel dekoriert, eine Buchhändlerin, die ihre Lieblingsbücher vorstellt. Und es wird erklärt, warum man auf der Suche nach sich selbst auch ganz unchristlich pilgern gehen darf.
Der Bahnhofskiosk – unendliche Weiten: Knapp 1.600 Publikumszeitschriften schwappen regelmäßig in die Regale. In loser Folge und streng nach dem Zufallsprinzip stößt das taz-Medienressort in Parallelwelten vor, die manche menschliche Wesen regelmäßig aufsuchen, auf der Suche nach genau der Zeitschrift, die ihrem Leben den ganz speziellen Sinn gibt. Heute: „Flow“ und „Wolf“.
Die Dezemberausgabe hält noch etwas ganz Besonderes bereit: den Flow-Kalender. Kleine Kärtchen zum Raustrennen, in Form und Größe eines Etiketts mit Sinnsprüchen und Tipps für 365 Tage Flow („Je weniger du isst, desto mehr schmeckst du. Chinesisches Sprichwort“).
Flow sieht aus wie eine gedruckte Fusion aus Instagram, Facebook und Pinterest. Im Internet gibt es ja nicht nur Hasskommentare, sondern auch die Ecken, in denen es glitzert. Wo Sprüche fürs Poesiealbum geteilt werden und sich schöne Menschen in noch schöneren Wohnungen zeigen. Flow ist dieses Wohlfühlinternet, zusammengedampft auf 170 Seiten Magazin: mit DIY (basteln), Popsicles (Eis am Stiel) und Ratgeberweisheit.
Der einzige Achtsamkeitstrend, der nicht auftaucht, ist Adult Colouring. Millionen Ausmalbücher für Erwachsene werden derzeit weltweit verkauft. Im Frühjahr meldete die Buntstiftindustrie, dass sie gar nicht mehr mit dem Produzieren nachkäme, so schnell sei der Absatz gestiegen.
Und es ist wirklich erstaunlich, dass es in Flow weder Mandalas noch Malen nach Zahlen gibt, wo sie doch mit ein und derselben Botschaft arbeiten: Du bist überarbeitet und müde? Mach eine kleine Pause und gönn dir was! Sei kreativ! In der Dezemberausgabe Flow bedeutet das dann zum Beispiel: Bevor du morgens in dein Hamsterrad steigst, setz dich kurz hin und zeichne drei Blümchen („Kunst vorm Frühstück“).“
Auf jeder einzelnen Seite will das Magazin Wohltat für gestresste Seelen vermitteln. Wie richte ich die Wohnung schön ein? Wie gebe ich eine entspannende Massage? Wie mache ich meinen Lieben eine Freude? Wie bringe ich meine zerstrittene Familie an einen Tisch? Wie koche ich ein schmackhaftes, gesundes und hippes Gericht? Auf all das finden die Macher*innen von Flow eine Antwort. Sie nennen es Achtsamkeit. Wir nennen es noch mehr Arbeit. Amna Franzke
„Wolf“ – Viel Vinyl, wenig Mädels
Zunächst ist jeder Versuch eines Männermagazins zu loben, das ohne Vergewaltigungstipps, monströse Spritschleudern und Eimergrills auskommt. Das neue Wolf steht für mehr Achtsamkeit. Der Titel ist eine Reminiszenz an den rückwärts gelesenen Muttertitel Flow und zugleich an ein wildes und unabhängiges Tier.
Wenn im Rudel, dann aber oben in der Hierarchie, wo man einen Korn für 36 Euro kauft, der „von zwei Brüdern gebrannt wird und den Duft von frischem Brot ins Glas bringt“. Die Grenzen zwischen Reklame und Redaktionellem verwischen konsequent.
Fast jeder Artikel, egal ob zum Kaufen oder zum Lesen, ist fancy, retro und ein wenig eitel. Aber nachhaltig. „Vinyl is the real deal“: Sätze, über die Sie schon immer gern mal weinen wollten.
Und damit sind wir bereits mitten in der ersten Nummer. Das Achtsamkeitsseminar. Die Datsche im Grünen. Der neue Mann ganz bei sich, dem nachhaltigen Burger und dem selbstgetischlerten Hocker. Das Selbstmitleid des Seitenspringers nach dem Seitensprung: durchaus gut geschriebene, alte Themen ohne neue Erkenntnisse.
Eine Dosis Architektur, Meditation für Anfänger, Literatur. Der Chef des Ankerherz Verlags über sein Lieblingsbuch: „Ein wütendes Buch, geschrieben in einer rohen Sprache.“ Also nicht dass hier einer denkt, Bücher wären irgendwie schwul. Natürlich hat man nichts gegen Schwule, echt nicht, schwul ist cool, aber wir sind trotzdem straight. Nur für die Statistik.
Solche Relativierungen sind Methode. Die Titelgeschichte sucht Entschleunigung im „Rocky“-Film und als Gimmick liegt die Reportage über einen kernigen Kerl bei, der ins kalte Wasser gefallen ist. Man traut dem Thema nicht und sucht den Ton. Dabei hatte das Editorial noch versprochen, mit dem „Bullshit“ des harten Mannes aufzuräumen, um gleich darauf zurückzurudern: „Permanent in unserem Aston Martin unterwegs vom Gin-Tonic-Gelage mit Supermodels zum Hochseeangeln in der Karibik. Wir lieben all das. Natürlich. Wer würde das nicht?“
Höhö, und die Faust dem Zielpublikum an den Oberarm geknufft: einem uralten Jungen. Guter Job, gute Kohle. Er geht auf die 50 zu, mehr Stubentiger als Wolf. Aber nicht schwul! Nach der Geburt des Kindes langweilt er sich ein wenig, blättert in Wolf, langweilt sich noch mehr. Viel Vinyl, wenig Mädels. Er denkt Dinge wie „Jungen werden systematisch benachteiligt“ und ,„wir Männer müssen die Täterrolle ablehnen“. Der Rücken tut weh.
Ruhig noch ein bisschen mehr Kreide essen. Mehr Selbstironie wagen. Nicht so viel Zeug kaufen. Keinen Aston Martin fahren wollen. Scheitern. Lachen. Leben. Sterben. Andernfalls bleibt man auf dem halben Weg zur Achtsamkeit stehen. Wie dieses Heft. Uli Hannemann
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