berliner szenen: Die Männer auf dem Dach
Ein Handwerker hockt auf dem Spitzdach, fünf Etagen hoch über der Straße. Mit einer Hand stützt er sich ab, mit der anderen entfernt er Schrauben aus dem Oberlicht einer Dachwohnung. Um an die gegenüberliegende Fensterecke heranzureichen, dreht er sich um die eigene Achse, als wär’s ein Kinderspiel im Sand. Auf dem Hinterteil ruckelt er weiter und sucht etwas in seinem Werkzeugkasten. Die vorbeiziehenden Wolken scheinen das Dach zu bewegen, das ganze Manöver sieht irritierend instabil aus. Aber der Mann hat die Ruhe weg, dabei hat er bestimmt viele Reparaturaufträge nach den heftigen Stürmen.
Jetzt macht er in Seitenlage weiter. Mit einem Bein stemmt er sich gegen die Anti-Tauben-Spikes an der Dachrinne – woher will er wissen, dass die nicht nachgeben? Der Unterschenkel des anderen Beins hängt über dem Abgrund.
Ein Kollege erscheint, aufrecht über den Dachfirst spazierend. Er bringt eine Metallschiene, die sie jetzt gemeinsam anpassen. Und lässig verfolgen sie dabei, was auf der Straße so vor sich geht. Der eine ruft der vorbeiziehenden Kita-Gruppe etwas zu und erntet Kreischen und Bewunderung, der andere kontrolliert, ob der Lkw-Fahrer auch korrekt durch die enge Toreinfahrt manövriert.
Plötzlich frieren die Bewegungen der beiden ein, sie räuspern sich laut. Der Klassiker: unten steht eine junge Frau mit verwuscheltem Pferdeschwanz, Typ Fußballspielerin. Weißes Stirnband, kurze schwarz glänzende Daunenjacke, Stiefel mit Puschelbesatz. Sie kramt in ihrer Handtasche und reagiert nicht auf das Räuspern. Auf dem Dach schaukelt jetzt pausenlos, wie der Arm einer Winkekatze, der überstehende Unterschenkel. Die junge Frau hebt endlich den Kopf und wendet sich mit freundlichem Blick und aufmunternden Worten – zu ihrem kackenden Mops.
Claudia Ingenhoven
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