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Die Macht der Tech-Konzerne eindämmen„Wir müssen so gut werden wie die“

Was tun gegen die Macht von Big Tech? Auf der Digitalkonferenz re:­pu­bli­ca zeigen Expert:innen, woran es scheitert – und wie es besser ginge.

Wie Big Tech zähmen? Dieser Frage stellten sich Teil­neh­me­r:in­nen der Digitalkonferenz re:­pu­bli­ca Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Chan-jo Jun ist Anwalt. Einer der renommiertesten, wenn es darum geht, dass Nut­ze­r:in­nen ihre Rechte gegenüber den großen Tech-Konzernen durchsetzen wollen. Wenn eine Moderatorin ihr Gesicht auf einmal auf Social-Media-Plattformen wiederfindet, wo Kriminelle mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) täuschend echte Videos gebaut haben, indem die gefakte KI-Version der Moderatorin für betrügerische Geldanlagen wirbt. Wenn es sogar möglich ist, ein Videotelefonat mit dieser Fake-Figur zu führen – alles auf Basis von KI. Wenn einer Politikerin auf Facebook immer wieder das gleiche falsche und rassistische Zitat untergeschoben wird – und Mutterkonzern Meta sich weigert, es von selbst zu löschen.

Es sind solche Fälle, die Chan-jo Jun und seine Kanzlei-Kolleg:innen vertreten und die ihn mittlerweile zu dem Fazit bringen: „Für die Konzerne ist es billiger, die Gesetze nicht zu beachten, als sie zu beachten“.

Chan-jo Jun und seine Kollegin Jessica Flint stehen auf der Digitalkonferenz re:­pu­bli­ca, die von Montag bis Mittwoch in Berlin stattfindet, für den juristischen Kampf gegen die gesellschaftliche und politische Macht der Onlineplattformen. Sie helfen Betroffenen, mithilfe des Rechts den Fake News, Hassnachrichten, Bedrohungen, Verleumdungen oder dem Missbrauch von Bildern, die etwa in KI-generierte Pornofilme gebaut werden, etwas entgegenzusetzen. Neben An­wäl­t:in­nen unterstützen dabei auch Organisationen wie Hate Aid.

Wer heute noch glaube, dass sich die Plattformen schon von selbst an Gesetze halten würden, sei „hochgradig naiv“, sagt Anwalt Chan-jo Jun. Selbst in Fällen, die nach jahrelanger Prozessdauer endlich höchstrichterlich entschieden wurden, setzten die Konzerne das Recht gerade mal in diesem einen Fall um – alle anderen gleichgelagerten würden ignoriert. Das sei auch deshalb so problematisch, weil derzeit ein großer Teil der Rechtsdurchsetzung bei den Betroffenen hängen bleibe.

„Die Aufsichtsbehörden kümmern sich nicht“, kritisiert seine Kollegin Jessica Flint. Sie berichtet von einem Fall, in dem ein Mandant innerhalb eines Jahres 300 Beschwerden wegen rechtswidriger Inhalte an die Bundesnetzagentur gegeben habe. Die Bundesnetzagentur überwacht in Deutschland, dass sich die Unternehmen an den Digital Services Act (DSA) halten. Das ist ein EU-Gesetz, das die Onlineplattformen unter anderem stärker in die Verantwortung für die bei ihnen geposteten Inhalte nehmen soll.

„Schaufenster-Gesetze“

Passiert sei aber nichts, so Flint. Denn: Die Aufsichtsbehörde ist längst noch nicht mit dem nötigen Personal ausgestattet, das für die Durchsetzung des DSA nötig wäre. Von „Schaufenster-Gesetzen“ spricht Chan-jo Jun: Gesetze, die schön und wirksam aussehen, aber nicht durchgesetzt werden. Das Gleiche drohe nun beim AI Act, der europäischen Gesetzgebung zu KI, deren Regeln nach und nach in Kraft treten.

„Im Gesetz steht ein Erfüllungsaufwand von 99 Mitarbeitern, und wir arbeiten derzeit mit einem Viertel“, erklärt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, auf einer anderen Bühne über das Dilemma des mangelnden Personals für diesen Aufsichtsbereich. Der Grund: Mit dem Scheitern der Ampelkoalition sei der Bundeshaushalt im Verzug, da müssten die Stellen herkommen.

Doch das Loch bei der Bundesnetzagentur ist nur der sichtbarste Teil eines deutlichen Ungleichgewichts zwischen den Big-Tech-Konzernen mit ihren gut ausgestatteten Rechtsabteilungen auf der einen und den Aufsichtsbehörden auf der anderen Seite. „Wir müssen so gut werden wie die, dann können wir Recht durchsetzen“, sagt daher die Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider. Momentan gibt es dagegen eher die gegenteilige Dynamik: „Wenn sich keiner an Recht hält, dann verliert Recht seine Funktion.“

Wie es nicht laufen solle, zeigt der Fall Meta. Seit diesem Dienstag verwendet der Konzern Daten der Facebook- und Instagram-Nutzer:innen für das Training seiner KI – es sei denn, sie haben widersprochen. „Ich habe mich eine halbe Stunde durch Facebook gewühlt, um diese Schaltfläche zu finden“, gibt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, zu. „Und wenn ich das nicht finde, will ich ­wissen, wie es vielen geht, die sich noch nicht damit beschäftigt haben.“ Er wünsche sich einen „Allem widersprechen“-Button, am besten direkt auf der Startseite.

Wie es besser gehen könnte

Specht-Riemenschneiders Forderung: Es brauche bessere Vorhersagestrategien. „Strategic Foresight“ heißt die Forschungsdisziplin dazu, die in Unternehmen bereits angewandt wird und ihnen helfen soll, Trends früh zu erkennen und so auf dem Markt vorne zu sein. Übersetzt für die Regulierung würde das bedeuten: Die Politik müsste nicht immer erst im Nachklapp auf neue Technologien und unternehmerische Entscheidungen reagieren, sondern sollte frühzeitig wissen, wohin die Entwicklung geht.

Auch die An­wäl­t:in­nen Chan-jo Jun und Jessica Flint haben konkrete Ideen. Zum Beispiel: die Summen für Schadensersatz deutlich erhöhen. Es müsse teurer werden, die Gesetze zu brechen, als an den Rechtsverletzungen zu verdienen. Vorbild könnte hier das Urheberrecht sein. Dann: die Social-Media-Plattformen behandeln wie Medienunternehmen – mit allen Rechten, aber auch allen Pflichten, was die Verantwortung für Inhalte angeht.

„Wir müssen aufhören, den Narrativen der Plattformen auf den Leim zu gehen“, sagt Chan-jo Jun. Die würden sich gerne als neutral darstellen, seien es aber gar nicht. So sei auch eine algorithmisch kuratierte Timeline eine redaktionelle Entscheidung. Eine, die momentan polarisierende Inhalte begünstigt und damit rechten Parteien und In­flu­en­ce­r:in­nen mehr Aufmerksamkeit verschafft.

Und schließlich: die Mächtigen ganz in die Verantwortung nehmen. Die Social-Media-Konzerne seien, sagt Anwältin Flint, in einigen Bereichen mittlerweile so mächtig geworden, dass auch für sie eine Pflicht nötig sei, sich wie der Staat gegenüber den Bür­ge­r:in­nen an Grundrechte zu halten.

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