: Die Luft für Jassir Arafat wird dünn
Die rigide Politik der Israelis treibt immer mehr Palästinenser weg von ihrem Präsidenten und hin zu Hamas und Dschihad. Um seinen Sturz zu verhindern, denkt der Oberpalästinenser nun laut über eine große Koalition mit den Islamisten nach
aus Gaza SUSANNE KNAUL
Vor fünf Jahren noch hatten ihn die Palästinenser mit 96 Prozent ihrer Stimmen zum Präsidenten gewählt. Nun jedoch muss sich Jassir Arafat der dramatisch sinkenden Sympathie in seinem Volk stellen. Zum ersten Mal übertreffen die Oppositionsparteien die Sympathiequote für die drei PLO-Parteien. Jüngsten Umfragen des palästinensischen Statistikzentrums in Nablus zufolge, würde die Fatah heute nur noch 28,5 Prozent der Stimmen erhalten. Zusammen mit der Fida und der Volkspartei käme die PLO insgesamt auf rund 30 Prozent. Demgegenüber unterstützen insgesamt 32 Prozent die Oppositionsparteien, darunter Hamas und Dschihad sowie die linken Parteien PFLP und DFLP.
Dazu kommt, dass die Oppositionsparteien immer unverhaltener ihrem Unmut Luft machen. Abd-al Asis Rantisi, politischer Chef der Hamas in Gaza, drohte diese Woche gar, dass es einen palästinensischen Jigal Amir geben müsse. Der israelische Radikale hatte einst Premierminister Jitzhak Rabin ermordet.
Offenbar aufgrund des zunehmenden inner-palästinensischen Drucks rief Arafat diese Woche zu einem Zusammengehen aller Bewegungen auf. Bereits Anfang der Woche hatte der Fatah-Chef im Westjordanland Marwan Barguti die Bildung einer Regierungskoalition gefordert. Zuvor hatte Barguti heftige Kritik an der eigenen Führung verlauten lassen. Auch innerhalb der Fatah wächst die Opposition gegen die politische Spitze.
„Oslo hat uns nichts gebracht“, schimpft Mahed Abu Amsha, der seit rund 15 Jahren der Fatah angehört. Die Mehrheit der Partei habe längst begriffen, dass „der Feind den Frieden nicht will“. So bekomme die Fraktion der Bewegung, die nie aufgehört hat, an der ursprünglichen Ideologie „des Kampfes um ganz Palästina“ festzuhalten, wieder neuen Zustrom und reagiert mit Protest, wenn Arafat den Israelis gegenüber politische Zugeständnisse macht. Die palästinensische Führung hält vorläufig an der Richtigkeit der Vertragsunterzeichnung 1993 in Oslo und an ihrer Befürwortung einer Zwei-Staaten-Lösung fest. Letztendlich wäre ohne die damalige Einigung zwischen Israel und den Palästinensern eine Rückkehr der im Exil verharrenden PLO-Spitze nicht möglich gewesen.
Doch nicht nur die Frustration über das Ausbleiben des Friedens treibt die neue innerpalästinenische Opposition auf die Straße, sondern auch der Zorn auf die eigenen Behörden, die nichts unternehmen, um die wirtschaftliche Not des Volkes zu lindern. „Seit zehn Monaten bekommen wir keine Unterstützung von der Autoritätsverwaltung. Das Volk ist hungrig und wütend.“ Einen Vorgeschmack auf den „bevorstehenden Kampf“ bekam Mussa Arafat, Chef des militärischen Geheimdienstes, bereits vor zwei Wochen, als sein Büro nach einem Zwischenfall zwischen Demonstranten und palästinensischen Sicherheitsbeamten von der aufgebrachten Menge mit Steinen und Schusswaffen angegriffen worden war. Als die Sicherheitsbeamten zurückschossen, schimpften die Protestanten sie „korrupte Bande“ und „von Israel gekaufte Agenten“. Neue Proteste sind angekündigt. Am kommenden Samstag wollen Aktivisten der nichtreligiösen Bewegungen für „Brot und Arbeit“ demonstrieren.
Der Gedanke an ein Zusammengehen zwischen Fatah und Oppositionsparteien besteht seit Beginn der „Al-Aksa-Intifada“. „Auf dem Schlachtfeld gegen die Israelis kooperieren wir schon lange“, sagt Abu Amsha, und auch „politisch bestehen, abgesehen von dem religiösen Aspekt, kaum Unterschiede“. Ein Sturz der Führung durch das Volk kann sich Abu Amsha trotz der steigenden Kritik gegen Arafat nicht vorstellen. Eher schon sei ein Putsch von Seiten eines der Sicherheitsdienste denkbar. „Vorläufig balanciert Arafat die Kräfte aus, um keinen zu stark werden zu lassen.“ Ambitionen auf das höchste Amt hegten vor allem die beiden Chefs des „Präventiven Sicherheitsdienstes“ Mohammad Dachlan in Gaza und Dschibril Radschub im Westjordanland.
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